Salafismus und Salafismusprävention
Was ist Salafismus? Definition, Bedeutung und Prävention
In der öffentlichen Debatte wird Salafismus oft im Zusammenhang mit Themen wie Radikalisierung, Islamismus oder Wahhabismus genannt. Bei genauerer Betrachtung beschreibt das jedoch nur einen Teil dessen, was darunter zu verstehen ist, denn die Verwendung des Begriffes Salafismus ist nicht immer eindeutig und wird teilweise missverständlich verwendet. Das zu bedenken ist auch in Hinblick auf die Salafismusprävention wichtig.
Was aber bedeutet Salafismus? Der Begriff bezieht sich auf das arabische Wort salafiyya, womit wir bei der ersten Bedeutung wären: Salafiyya ist die Bezeichnung einer innerislamischen Reformbewegung des 19. Jahrhunderts. Anhänger*innen dieser Bewegung forderten eine Rückbesinnung auf das Leben der ersten drei Generationen von Muslim*innen, der salaf al-salih (frommen Altvorderen).
Im aktuellen Diskurs beschreibt Salafismus jedoch ein heterogenes, antidemokratisches und antimodernes Phänomen. Heterogen deshalb, da es verschiedene Strömungen beziehungsweise Ausprägungen innerhalb des Salafismus gibt. Aufgrund dieser Heterogenität gibt es keine einheitliche Definition für Salafismus. Auf diese Bedeutung bezieht sich auch die Salafismusprävention. Um dem vergleichsweise jungen Phänomen Rechnung zu tragen und sprachlich von der Reformbewegung des 19. Jahrhunderts abzugrenzen, findet bei einigen Expert*innen auch der Begriff des Neo-Salafismus Verwendung. Die heutigen Salafist*innen würden sich jedoch nicht als solche bezeichnen, da es sich bei dem Begriff um eine Fremdbezeichnung handelt.
Der Begriff Salafismus hat also nicht nur eine Bedeutung. Für unsere weiteren Ausführungen beziehen wir uns auf die aktuellen salafistischen Strömungen und nicht auf die Reformbewegung.
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Der Unterschied zwischen Salafismus, Islamismus und Wahhabismus
Beschäftigt man sich allgemein mit dem Thema religiös begründeter Extremismus oder mit Islamismus im Speziellen, stößt man schnell auf die Begriffe Salafismus und Wahhabismus. An vielen Stellen werden die Begriffe dabei synonym verwendet, was den Kern nicht wirklich trifft. Was aber ist der Unterschied zwischen Salafismus, Islamismus und Wahhabismus?
Salafist*innen erheben einen Absolutheitsanspruch und halten ihr Religionsverständnis für den einzig wahren Islam. Diejenigen, die dem nicht zustimmen, werden von ihnen als Ungläubige (arab. kuffar) markiert. Das bezieht sich sowohl auf Menschen anderer Religionen als auch auf Muslim*innen anderer Glaubensrichtungen. Aus ihrem Religionsverständnis leiten Salafist*innen die Grundlage ihrer politischen Bestrebungen ab, Staat und Gesellschaft nach dem religiösen Vorbild umzugestalten, um so langfristig einen Gottesstaat zu errichten.
Salafismus kann dem Islamismus zugerechnet werden. Die Oberkategorie Islamismus schließt jedoch weitaus mehr Gruppierungen ein, die teilweise andere Ziele verfolgen und nicht dem salafistischen Spektrum zuzuordnen sind. Salafistische Gruppierungen teilen sich mit islamistischen Gruppen zentrale Merkmale. Sie wollen mehr dazu erfahren? Hier haben wir alle wichtigen Informationen zu Islamismus und Islamismusprävention für Sie zusammengefasst.
Worin unterscheiden sich nun jedoch Salafismus und Wahhabismus? Beide teilen viele Grundsätze ihrer Religionsauffassung, sind jedoch nicht identisch. Ein wesentlicher Unterschied besteht darin, dass Anhänger*innen des Wahhabismus dem saudi-arabischen Königshaus loyal sind und Salafist*innen weltliche Herrschaft gänzlich ablehnen. Der Wahhabismus ist also sowohl politisch als auch geografisch unzertrennlich an den Staat Saudi-Arabien und die dortigen Herrschaftsstrukturen gekoppelt. Darüber hinaus ist der Wahhabismus vordergründig nicht für die Legitimation und Ausübung von Gewalt in einer terroristischen Lesart bekannt.
Strömungen innerhalb des Salafismus
Wie bereits beschrieben, ist Salafismus ein Sammelbegriff für ein äußerst heterogenes Phänomen. Das ist mit ein Grund dafür, dass die Fragen Was wollen Salafist*innen oder Was tun Salafist*innen? nicht so leicht zu beantworten sind. Aus Sicht der Forschung können innerhalb des Salafismus unterschiedliche Strömungen beziehungsweise Ausprägungen ausgemacht werden. Auf dieser Systematik fußt auch die Perspektive der Sicherheitsbehörden. Obwohl die unterschiedlichen Ausprägungen auf einer theoretischen Ebene gut zu unterscheiden sind, ist das in der Realität oft weniger eindeutig. Die Grenzen zwischen den unterschiedlichen Ausprägungen sind dabei fließend. Zumeist wird zwischen folgenden innersalafistischen Strömungen beziehungsweise Ausprägungen unterschieden:
- Puristischer Salafismus
- Politischer Salafismus
- Jihadistischer Salafismus
Der puristische Salafismus ist eine apolitische Strömung, deren Anhänger*innen ihr strengreligiöses Leben nur im Privaten ausleben. Das bedeutet, die Anhänger*innen sind sehr konservativ, engagieren sich allerdings nicht politisch oder im öffentlichen Raum für die Veränderung der gesellschaftlichen Ordnung. Eine gesellschaftliche Umgestaltung wird also nicht durch politisches und öffentliches Handeln angestrebt. Vielmehr wird diese nach ihrem Verständnis zwangsläufig erreicht, wenn die Menschen ein gottgefälliges Leben führen. Anhänger*innen der puristischen Ausprägung sind in dem Sinne nicht als extremistisch zu begreifen, da sie eine politische Veränderung nicht aktiv anstreben. Sie sind dennoch antidemokratisch.
Im Gegensatz dazu setzen sich politische Salafist*innen für eine aktive gesellschaftliche Umgestaltung ein und sprechen sich offen gegen demokratische Prinzipien und die Verfassung aus. Wie alle politischen Akteure, haben auch Salafist*innen ein hohes Sendungsbewusstsein. Das bedeutet, sie versuchen, ihre Ideologie durch intensive Missionierung (da‘wa) zu verbreiten. Die Missionierung durch politische Salafist*innen erfolgt beispielsweise durch Demonstrationen, Seminarangebote, Informationsstände oder Literatur. Sie verstehen sich selbst als Retter*innen der vom Westen unterdrückten Muslim*innen. Der politische Salafismus lässt sich noch einmal unterscheiden in gewaltablehnend und gewaltlegitimierend. Die eigene Anwendung von Gewalt lehnen Personen, die dieser Ausprägung zugeordnet werden, jedoch ab.
Anhänger*innen der jihadistisch salafistischen Ausprägung hingegen sehen Gewalt als ein legitimes Mittel an, um ihre Ziele zu verwirklichen. Diese Annahme gründet auf ihrem Verständnis von Jihad (Dschihad), von dem sie die Pflicht ableiten, gegen eine vermeintliche Unterdrückung von Muslim*innen und für einen Gottesstaat zu kämpfen. Hinsichtlich der Anzahl ihrer Anhänger*innen ist diese Strömung mit Abstand die kleinste.
Das Wort Jihad (Dschihad) hat verschiedene Bedeutungen und ist nicht per se mit Extremismus oder Gewalt verbunden. Vielmehr bedeutet es Bemühung und Anstrengung und bezieht sich auf die Überwindung von (inneren) Widerständen. Der große Jihad ist friedlich und wird von Muslim*innen als persönliche Anstrengung für ein gutes Leben verstanden. Der kleine Jihad wiederum ist kriegerisch und bezieht sich auf die (eigene) Verteidigung. Anhänger*innen der jihadistisch salafistischen Strömung machen sich dieses Verständnis zu eigen.
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Wie erkennt man Salafist*innen? Auch auf diese Frage gibt es keine einfache Antwort. Salafist*innen aller Ausprägungen orientieren sich in ihrer Lebensführung an den ersten drei Generationen der Muslim*innen, beginnend mit dem Propheten Mohammed. Dabei sehen sie den Koran und die Überlieferungen aus dem Leben des Propheten (sunna) als direkt auf ihre Leben übertragbar. Interpretationen und Kontextualisierungen der alten Schriften haben in ihrem literalistischen Islamverständnis keinen Platz. Dementsprechend lehnen sie alle modernen Erscheinungen und Veränderungen ab. Dies geschieht gleichwohl nur vordergründig, da sie trotz ihrer Ablehnung beispielsweise das Internet für die Verbreitung ihrer Inhalte nutzen.
Die Orientierung an den ersten drei Generationen an Muslim*innen sowie ihre wortgetreue Auslegung der religiösen Quellen spiegelt sich teilweise auch in ihrer betont traditionellen Kleidung wider. Bei Männern können das etwa lange Gewänder und ein nicht gestutzter Bart sein, bei Frauen eine Verschleierung oder ebenfalls weite Gewänder. Die Kleiderwahl allein erlaubt jedoch keine eindeutigen Rückschlüsse darüber, ob der*die Träger*in auch tatsächlich dem salafistischen Milieu angehört. Aus diesem Grund ist Vorsicht geboten, wenn es um rein äußerliche Merkmale geht.
Radikalisierung im Salafismus: Jihadismus, Gewalt und Terrorismus
Anders als es oft in Medien oder der gesellschaftlichen Debatte scheint, ist Salafismus nicht gleichbedeutend mit Terrorismus und Gewalt. Diese Verknüpfung trifft nur auf eine der Ausprägungen zu – den jihadistischen Salafismus. Die wohl bekanntesten jihadistisch salafistischen Organisationen sind Al-Qaida und der sogenannte Islamische Staat.
Die Relevanz des Salafismus, auch in Bezug auf die Präventionsarbeit, besteht in einer potenziellen Radikalisierung innerhalb der Strömung. Also dem Wechsel zwischen den einzelnen Ausprägungen, beispielsweise vom politischen Salafismus hin zum Jihadismus (Dschihadismus). Hier finden Sie weitere Informationen zu Radikalisierungsprävention, Extremismus und Prävention oder Radikalisierung und Deradikalisierung.
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Salafismus in Deutschland
In den vergangenen Jahren wurden verschiedene salafistische Organisationen verboten. Trotzdem handelt es sich beim Salafismus laut dem Verfassungsschutzberichten von 2020 um die am stärksten wachsende islamistische Strömung in Deutschland. Aber wie viele Salafist*innen gibt es in Deutschland?
Die Anzahl der Menschen, die in Deutschland dem islamistischen Spektrum zuzuordnen ist, liegt nach aktuellen Angaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz bei 28.715. Diese Zahl schließt jedoch alle islamitischen Gruppierungen und Strömungen ein und bezieht sich nicht ausschließlich auf den Salafismus. Von diesen 28.715 sind aktuell 12.150 Menschen dem Salafismus zuzurechnen – wobei puristische Salafist*innen nicht durch die Sicherheitsbehörden erfasst werden. Diese Zahl bedeutet jedoch nicht, dass es in Deutschland knapp 12.000 potenzielle Terrorist*innen gibt, denn die Anhänger*innen der jihadistischen Strömung sind zahlenmäßig bedeutend kleiner als die des politischen Salafismus. Zur Orientierung – die Bundesregierung zählte im Februar 2021 mehr als 1.070 Menschen, die aus Deutschland ins Gebiet des sogenannten Islamischen Staates ausgereist sind. Die Zahl islamistischen Gefährdern lag Ende Oktober 2020 bei 615 Menschen.
Die Rolle von Frauen im Salafismus
Oft stehen in der Debatte um Salafismus Männer im Fokus der Aufmerksamkeit. Zwar sind Frauen zahlenmäßig weniger stark vertreten, dennoch spielen sie in der Szene eine tragende Rolle. In den letzten Jahren widmeten sich verschiedene Forscher*innen der Ansprache von Frauen und auch Praktiker*innen haben ihre Erkenntnisse diesbezüglich zusammengetragen. So stellte sich heraus, dass in der Ansprache von Jugendlichen durch salafistische Akteure genderspezifische Aspekte Berücksichtigung finden. Dies drückt sich sowohl in sprachlichen Inhalten als auch in bildlichen Darstellungen aus.
Aufgrund der klaren Rollenverteilung innerhalb der salafistischen Ideologie unterscheiden sich die Ansprachen an junge Frauen von denen an junge Männer. Dennoch treffen viele der Attraktivitätsmomente der salafistischen Szene sowohl auf junge Männer als auch auf junge Frauen zu:
- Reduktion von Komplexität, Verantwortungsabgabe und Entlastung bspw. durch klare Rollenverteilung
- Wertschätzung und Akzeptanz bei der Erfüllung der Rollen bzw. bei gruppenkonformem Verhalten
- Versprechung des sozialen Aufstiegs unabhängig von dem was vor dem Beitritt zur Gruppe war
- Versprechung von Gemeinschaft auch geschlechterspezifisch in Form von Bruder- oder Schwesternschaften
- Abgrenzung zu den eigenen Eltern und zur Mehrheitsgesellschaft
In den letzten Jahren haben einige Akteur*innen der Präventionslandschaft die Beobachtung gemacht, dass mit einer sogenannten zweiten Generation zu rechnen ist. Grund dafür ist, dass vordergründig junge Menschen durch die Szene angesprochen werden und die Gründung einer Familie sowie Kinderreichtum ein bedeutender Teil der salafistischen Ideologie sind. Dementsprechend ist davon auszugehen, dass es zukünftig Kinder geben wird, die in salafistisch geprägten Familien aufwachsen. Auch einige unserer Mitgliedsorganisationen setzen sich Akteure explizit mit diesem Thema auseinander und bieten Beratung und Hilfestellung diesbezüglich an.
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Salafismus als Jugendkultur?
Ähnlich wie andere Extremismen oder islamistische Strömungen, greift Salafismus Bedürfnisse der Jugend auf. Unter bestimmten Umständen kann eine salafistische Radikalisierung auch vom Wunsch nach Abgrenzung zum Rest der Gesellschaft oder zu den eigenen Eltern geleitet sein.
In diesen Fällen bedeutet eine Radikalisierung auch die ultimative Provokation und jugendliche Rebellion gegen das eigene Elternhaus. Darüber hinaus ist die salafistische Ideologie für viele Jugendliche attraktiv, da sie in einer immer komplexer werdenden Welt einfache Antworten liefert und so vermeintliche Erleichterung in der Bewältigung jugendspezifischer Herausforderungen verspricht. Die Ideologie gibt eine Struktur mit festen Regeln vor, die die Jugendlichen in der Gesellschaft nicht vorzufinden scheinen. Zudem verspricht sie Anerkennung und Aufstieg, die durch das einfache Befolgen der Regeln erlangt werden können.
In den Hinwendungsmotiven lassen sich also durchaus Merkmale der Jugendphase wiederfinden. Sinnsuche, Rebellion, der Wunsch nach Gemeinschaft und sozialer Anerkennung und Eingliederung sind keine für Salafismus spezifische Bedürfnisse, sondern Bedürfnisse, die die Jugendphase im Allgemeinen kennzeichnet. Lesen Sie hierzu mehr im Beitrag über Radikalisierung und Deradikalisierung. Diese Bedürfnisse werden von salafistischen und allgemein von islamistischen Akteur*innen geschickt in ihrer Ansprache aufgegriffen. Dazu bedienen sie sich in den letzten Jahrzehnten auch verstärkt des Internets und der sozialen Medien, um ihre Propaganda an die Gewohnheiten ihrer Zielgruppe anzupassen. Die extremistischen Botschaften werden etwa über die sozialen Medien verbreitet, in Videospielen oder in popkulturellen Referenzen verpackt.
Prävention von Salafismus: Strategien gegen islamistischen Extremismus
Akteure der Radikalisierungsprävention greifen diese Spezifika der salafistischen Ansprache ebenso in ihrer täglichen Arbeit auf wie auch die Bedürfnisse der Jugendlichen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft religiös begründeter Extremismus (BAG RelEx) ist ein Zusammenschluss von Trägern, die sich für eine gelingende Präventionsarbeit gegen religiös begründeten Extremismus einsetzen. Die Themen Salafismus und Salafismusprävention sind dabei Schwerpunkte in den Projekten, die sich auf Islamismus beziehen.
Unsere Mitgliedsorganisationen sind aufgrund ihrer Professionalität und der jahrelangen Erfahrung im Themengebiet ideale Ansprechpartner*innen für Menschen, die sich weiter für das Arbeitsfeld interessieren. Die einzelnen Projekte sind sowohl Anlaufstellen für Betroffene und Ratsuchende wie auch für Multiplikator*innen. Auch wir als BAG RelEx stehen Ihnen für Fragen zur Seite. Kontaktieren Sie uns gerne, oder schauen Sie in unserem Pressebereich vorbei.