Radikalisierung und Deradikalisierung
Radikalisierung verhindern – Extremismus entgegenwirken
Der Begriff Radikalisierung taucht in Debatten oft in Zusammenhang mit den Themen Extremismus, Terrorismus oder Gewalt auf. Aber was genau ist damit gemeint und wie funktioniert Radikalisierung? Darüber herrscht Uneinigkeit, weshalb es auch keine allseits anerkannte Definition des Begriffs gibt, die hier angeführt werden könnte. Einigkeit besteht jedoch darin, dass Radikalisierung ein dynamischer, individueller und multifaktorieller Prozess ist, daher wird auch von Radikalisierungsprozessen gesprochen.
Die Umkehr eines solchen Prozesses wird allgemeinhin mit dem Begriff Deradikalisierung bezeichnet. Deradikalisierung beschreibt eine der drei Formen der Präventionsarbeit. Weitere Bezeichnungen dafür sind tertiäre oder indizierte Prävention sowie Ausstiegs- oder eben Deradikalisierungsarbeit. Anders als die Tertiärprävention richten sich Primär- und Sekundärprävention an Menschen, die sich noch nicht in einem Radikalisierungsprozess befinden. Lesen Sie hier mehr über Radikalisierungsprävention.
Islamismus: Prävention und Deradikalisierung
In der Bundesarbeitsgemeinschaft religiös begründeter Extremismus (BAG RelEx) haben sich verschiedene zivilgesellschaftliche Träger zusammengeschlossen, die sich für eine nachhaltige und erfolgreiche Prävention gegen religiös begründeten Extremismus einsetzen. Die Mehrzahl unserer Mitgliedsorganisationen legt in ihren Projekten zur Prävention gegen Radikalisierung in Deutschland den Fokus auf Islamismus und islamistische Radikalisierung. Eine Unterform von Islamismus kann der Salafismus sein, die Arbeit gegen salafistische Radikalisierung zählt damit ebenso zu den Aktivitäten unserer Mitgliedsorganisationen. Hier finden Sie einen Überblick über unserer Arbeit rund um Extremismus und Prävention.
Als BAG RelEx sprechen wir bewusst nicht von religiösem, sondern von religiös begründetem Extremismus. Dementsprechend nutzen wir auch nicht die Bezeichnung religiöse Radikalisierung, sondern religiös begründete Radikalisierung. Hintergrund ist, dass nicht die jeweilige Religion extremistisch oder radikal ist, sondern die Gruppierungen ihre extremistischen Ziele religiös begründen und die Religion für ihre Zwecke instrumentalisieren.
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Was bedeutet politische Radikalisierung?
Politische Radikalisierung beschreibt einen Prozess, bei dem sich Einzelpersonen oder Gruppen von der als gesellschaftliche Norm geltenden Einstellungen entfernen. Bei der Einschätzung, was als radikal bewertet wird, kommt es demnach auf den politischen und gesellschaftlichen Kontext an. Genauso wie Extremismus in Abgrenzung zu dem existiert, was in einer Gesellschaft als Norm verstanden und gelebt wird, bezieht sich auch der Prozess einer Radikalisierung auf diese gesellschaftlichen Normen.
In Medien und öffentliche Debatten werden die Begriffe Radikalisierung, Extremismus und Terrorismus oft synonym verwendet. Sie beschreiben allerdings keineswegs die gleichen Phänomene. Ihre Unterschiede können grob wie folgt zusammengefasst werden: Während Extremismus einen Zustand bezeichnet, ist unter dem Begriff Radikalisierung ein Prozess zu verstehen. Bei Terrorismus handelt es sich hingegen um eine gewalttätige Ausdrucksform, beispielsweise von extremistischen Gruppierungen, mit dem Ziel, Angst und Schrecken zu verbreiten. Dabei kann eine Radikalisierung zur Folge haben, dass sich Menschen extremistischen Gruppierungen anschließen. Ein Radikalisierungsprozess führt jedoch nicht zwangsläufig zu Extremismus oder Gewalt.
Nach der aktuellen Gesetzeslage sind radikale Einstellungen im Gegensatz zu extremistischen von der Meinungsfreiheit gedeckt und folglich vom Grundgesetz geschützt. Den entscheidenden Unterschied zwischen radikalen Einstellungen und extremistischen Bestrebungen sieht das Bundesamt für Verfassungsschutz darin, dass extremistische Gruppen unter anderem aktiv gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung vorgehen und den demokratischen Verfassungsstaat abschaffen wollen.
Als Bundesarbeitsgemeinschaft religiös begründeter Extremismus (BAG RelEx) konzentrieren wir uns gemeinsam mit unseren Mitgliedsorganisationen auf die Prävention gegen religiös begründeten Extremismus. Beim religiös begründeten Extremismus handelt es sich ebenso wie beispielsweise beim Rechtsextremismus um eine politische Ideologie. Die Extremist*innen wollen ein politisches System zu installieren, das nur eine spezifische Auslegung einer Religion toleriert. Demnach sind auch die Radikalisierungsverläufe, mit denen wir uns beschäftigen, politischer Natur. Eine Spielart des religiös begründeten Extremismus ist der Islamismus. Erfahren sie hier mehr über Islamismus und Islamismusprävention.
Was ist Deradikalisierung? Definition und Relevanz
Deradikalisierung ist der Prozess des Ausstiegs aus einer extremistischen Szene oder der Distanzierung von extremistischen Einstellungen. Mit Deradikalisierungsarbeit wird eine Form von Präventionsmaßnahmen gegen Radikalisierung bezeichnet, die auch unter den Begriffen Ausstiegsarbeit, tertiäre oder indizierte Prävention bekannt ist.
Wie bei Radikalisierung handelt es sich auch bei Deradikalisierung um einen dynamischen Prozess, der nicht über Nacht stattfindet. Eine spontane Deradikalisierung gibt es ebenso wenig wie eine spontane Radikalisierung. Ein solcher Prozess braucht Zeit und eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit der Umwelt und den eigenen Einstellungen. Eine Person kann nicht von außen deradikalisiert werden, muss den Prozess jedoch auch nicht völlig allein durchlaufen. Träger der Tertiärprävention (Deradikalisierungsarbeit) folgen verschiedenen Ansätzen, um Menschen bei einem Ausstieg zu begleiten. Beispielsweise gibt es eine Vielzahl an Beratungsstellen, an die sich Menschen wenden können, die sich in extremistischen Milieus befinden und inzwischen Zweifel daran haben. Ebenso können Angehörige oder Freund*innen Beratungsstellen aufsuchen, wenn sie wissen oder befürchten, dass sich eine Person in ihrem Umfeld radikalisiert hat oder sich in einem Radikalisierungsprozess befindet. Neben diesen Beratungsstellen gibt es auch Angebote der Deradikalisierung im Strafvollzug (Gefängnis).
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Mögliche Ursachen für Radikalisierungsprozesse
Auf die Frage, wie Menschen sich radikalisieren und gegebenenfalls zu Extremist*innen werden, gibt es keine einfache Antwort. Denn der Prozess einer Radikalisierung verläuft bei jeder Person unterschiedlich. Zwar existieren verschiedene Modelle, die Radikalisierungsprozesse beschreiben, allerdings ist es nicht möglich, ein festes Schema auf alle Radikalisierungsverläufe zu übertragen.
Forschung und Praxis haben sich intensiv mit dieser Frage auseinandergesetzt und verschiedene Faktoren herausgearbeitet, die in ihrem Zusammenwirken eine Radikalisierung begünstigen können. Das Modalverb können ist hier entscheidend, denn es ist nicht so, dass die einzelnen Faktoren notwendigerweise zu einer Radikalisierung führen. Zudem kann eine Radikalisierung zwar zu Extremismus und in manchen Fällen auch zu Terrorismus führen, diese beiden Fälle sind jedoch nicht zwangsläufig die Endpunkte von Radikalisierungsprozessen.
Wie radikalisieren sich Menschen?
In Bezug auf Gründe für Radikalisierung lassen sich sogenannten Push- und Pull-Faktoren unterscheiden. Push-Faktoren sind Faktoren, die Menschen anfälliger für extremistische Ansprachen machen. Pull-Faktoren beziehen sich auf die Strategien und Angebote extremistischer Gruppen. Von extremistischer Seite werden dabei oft Lösungen für die Push-Faktoren angeboten.
Beispiele für mögliche Push-Faktoren
- Persönliche, politische oder gesellschaftliche Krisen
- Orientierungs- und Perspektivlosigkeit
- Identitäts- und Sinnsuche
- Psychologische und psychosoziale Faktoren, etwa Familie, Freundschaften oder das erweiterte soziale Umfeld
- Diskriminierung, Marginalisierung, Ausgrenzung (gerade in Bezug auf islamistische Radikalisierung kann antimuslimischer Rassismus eine Rolle spielen)
- Schulische oder berufliche Misserfolge
- Soziale Ungleichheit
Es keinen bestimmten Typ Mensch, der sich radikalisiert. Viele der (Push-)Faktoren treffen auf eine große Anzahl der Jugendlichen oder jungen Erwachsenen zu oder sind gar elementar für die Phase der Jugend (zum Beispiel die Identitäts- und Sinnsuche). Die genannten Faktoren führen also nicht unweigerlich in einen Radikalisierungsprozess, können einzelne Personen jedoch anfälliger machen.
Beispiele für mögliche Pull-Faktoren
- Versprechen der Zugehörigkeit zu einer ausgewählten Gemeinschaft
- Angebot von eindeutigen Regeln und klaren Rollen
- Möglichkeit des sozialen Aufstiegs innerhalb der Gruppe
- Versprechen von Abenteuer, Heldentum und das Mitwirken an einer Utopie
- Opfernarrative und das Angebot von Sündenböcken (Freund-Feind-Schema)
- Charismatische Ansprache
Die überwiegende Mehrheit der hier genannten Pull- und Push-Faktoren sind nicht spezifisch für einzelne Phänomene (Extremismen). So unterschiedlich die Ziele von extremistischen Gruppen auf den ersten Blick erscheinen, in einigen Punkten weisen sie Gemeinsamkeiten auf. Die tatsächliche Ausgestaltung der Punkte ist wiederum phänomenspezifisch. Auch kann es zu einer sogenannten Co-Radikalisierung kommen, indem sich extremistische Phänomene wechselseitig befeuern und damit Radikalisierungstendenzen fördern. In der Ligante#2 finden Sie zu diesem Thema vertiefende Fachartikel aus Wissenschaft und Praxis.
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Wo findet Radikalisierung statt?
Beschäftigt man sich mit Radikalisierung und Radikalisierungsprävention, stellt sich schnell die Frage, an welchen Orten sich Radikalisierungsprozesse abspielen. Zuallererst kann man sagen, dass Radikalisierungsprozesse im Kopf stattfinden. Niemand wird von einem auf den anderen Moment radikal und/oder schließt sich einer extremistischen Gruppierung an. Vielmehr handelt es sich um einen längeren Prozess, in dessen Verlauf sich die Person mit der Gruppe und der Ideologie auseinandersetzt.
Die Frage kann man jedoch auch anders stellen – Findet Radikalisierung auf Facebook statt? Findet Radikalisierung in Moscheen statt? Natürlich lässt sich auch darauf keine einfache Antwort geben. Genauso wenig wie es den einen Radikalisierungsverlauf gibt, gibt es den einen Ort, an dem Radikalisierung stattfindet. Radikalisierungsprozesse können an unterschiedlichen Orten angestoßen werden, genauso wie sie an unterschiedlichen Orten infrage gestellt und den Menschen so Auswege eröffnet werden.
In den letzten Jahren wird vermehrt diskutiert, ob es eine Onlineradikalisierung gibt, also eine Radikalisierung, die (allein) im digitalen Raum stattfindet. Selbstverständlich wissen auch Extremist*innen das Internet für ihre Zwecke zu nutzen und so spielen bei so manch einer Radikalisierung im digitalen Zeitalter soziale Medien eine Rolle. Sowohl im Islamismus wie auch im Rechtsextremismus haben Akteur*innen digitale Medien in ihre Anwerbestrategien integriert und so neue Rekrutierungswege gefunden. Eine Radikalisierung findet jedoch immer in Wechselwirkung mit der Lebensrealität der Menschen statt, die sich radikalisieren. Obwohl die Bedeutung des Internets in den letzten Jahren und Jahrzehnten zugenommen hat, sind Offlinekontakte nach wie vor relevant.
Wie erkenne ich eine Radikalisierung?
Menschen aller Altersgruppen können anfällig für Anwerbungsversuche von extremistischen Gruppen sein. In den meisten Fällen richten Extremist*innen ihre Angebote jedoch an Jugendliche oder junge Erwachsene. Für das Umfeld von Jugendlichen ist oft nicht leicht zu erkennen, ob sich eine Person tatsächlich in einem Radikalisierungsprozess befindet oder ob es sich bei dem Verhalten eher um das Austesten von Grenzen und/oder um Provokation handelt. Eine Liste von Anzeichen für Radikalisierung, anhand derer Sie in Ihrem Umfeld eine Radikalisierung erkennen können, können wir Ihnen daher nicht zur Verfügung stellen.
Nicht umsonst gibt es ausgebildete Fachkräfte der Radikalisierungsprävention. Wenn Sie Sorge haben, dass sich ein Familienmitglied oder eine Person aus ihrem Freundes- oder Bekanntenkreis radikalisieren könnten, wenden Sie sich am besten an eine Beratungsstelle. Dort arbeiten erfahrene Fachkräfte, die fundiertes Praxiswissen zum Thema (salafistische) Radikalisierung haben und Ihnen bei der Frage was man dagegen tun kann zur Seite stehen. Hier finden Sie eine Übersicht über unsere Mitgliedsorganisationen.
Was tun gegen Radikalisierung? Hilfe und Beratung
Eine Radikalisierung ist kein unaufhaltsamer Prozess, der Menschen zwangsläufig zu Extremist*innen werden lässt. Das ist eine der Grundlagen, auf der die Arbeit unserer Mitgliedsorganisationen aufbaut: Menschen können sich ändern und sind nicht verloren, wenn sie mit extremistischen Gruppierungen sympathisieren oder sich ihnen angeschlossen haben. Präventionsarbeit bietet Beratung und Hilfe dabei, einen Radikalisierungsprozess zu stoppen – sowohl wenn Menschen sich bereits radikalisiert haben (Deradikalisierung) als auch im Vorfeld (beispielsweise durch politische Bildung).