Was ist Extremismus?
Extremismus ist ein verwaltungstechnischer Begriff, der sich auf politische Bestrebungen bezieht, die die Grundprinzipien des demokratischen Verfassungsstaats aktiv-kämpferisch beseitigen wollen. Diese Prinzipien werden mit dem Begriff freiheitliche demokratische Grundordnung (FDGO) beschrieben. Extremistische Gruppierungen wollen diese Grundprinzipien beseitigen und durch ein antidemokratisches politisches System ersetzen. Extremismus und extremistische Einstellungen sind demnach stets verfassungsfeindlich.
Die FDGO wird in der bundesdeutschen Verfassung, dem Grundgesetz (GG) der Bundesrepublik Deutschland, mehrfach genannt und wurde vom Bundesverfassungsgericht wie folgt definiert:
Die „Freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Art. 21 II GG ist eine Ordnung, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.“ – BVerfGE 2, 1 (Ls. 2, 12 f.)
Was ist der Unterschied zwischen Extremismus und Radikalismus?
Extremismus und Radikalismus werden oft gleichgesetzt, sie beschreiben aber unterschiedliche Sachverhalte. Extremistische Bestrebungen und Aktivitäten richten sich gegen die Grundprinzipien des demokratischen Verfassungsstaates (FDGO) und wollen diese beseitigen. Kritische Meinungen und dazugehörige Aktivitäten, die das politische System der Bundesrepublik Deutschland radikal, also grundlegend kritisieren, aber die Kernprinzipien nicht beseitigen wollen, werden hingegen als radikal bezeichnet. Radikalismus ist damit anders als Extremismus nicht verfassungsfeindlich.
Radikale Meinungen und Aktivitäten fallen unter den Schutz der Meinungsfreiheit und sind damit ausdrücklich nicht verboten. Extremistische Bestrebungen jedoch sind verfassungsfeindlich. Parteien oder Gruppen können aufgrund extremistischer, verfassungsfeindlicher Aktivitäten verboten werden, man bezeichnet sie dann als verfassungswidrig.
Sie haben Fragen zum Thema Extremismus und Prävention?
Kontaktieren Sie uns jetzt!
Ursachen & Formen von extremistischen Einstellungen
Ursachen für extremistische, verfassungsfeindliche Einstellungen sind sehr vielfältig, ebenso wie die Formen, in denen sich Extremismus ausdrückt. Das Bundesamt für Verfassungsschutz als Inlandsgeheimdienst der Bundesrepublik Deutschland und die Landesämter für Verfassungsschutz beobachten unterschiedliche Formen des Extremismus. Die Behörden teilen sie in folgende Phänomene ein:
- Rechtsextremismus
- Linksextremismus
- Islamismus und islamistischer Terrorismus
- Reichsbürger und Selbstverwalter
- auslandsbezogenen Extremismus
- „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ – ein neuer extremistischer Phänomenbereich
Gemein ist allen extremistischen Phänomenen die Verfassungsfeindlichkeit und die aktiv-kämpferische Haltung gegen das demokratische politische System. Abgesehen davon variieren die Extremismusformen mitunter stark voneinander und speisen sich aus unterschiedlichen historischen sowie aktuellen politischen Entwicklungen.
Nach einem theoretischen Modell, der sogenannten Extremismustheorie, stellen die Formen des Extremismus auf einer Linie die äußersten Ränder des politischen Spektrums dar. In der Mitte befindet sich die sogenannte demokratische Mitte, die der Theorie nach die FDGO erhalten will. Zwischen der politischen Mitte und den extremistischen Rändern befindet sich das sogenannte radikale politische Spektrum (jeweils links und rechts). Im Gegensatz zu den äußeren Rändern des Extremismus, ist das radikale politische Spektrum von der Meinungsfreiheit gedeckt.
Bei dieser Theorie, die in Deutschland hauptsächlich von den Politikwissenschaftlern Eckhard Jesse und Uwe Backes vertreten wird, fällt auf, dass lediglich „linker“ und „rechter Extremismus“ vorkommen. Die Theorie stammt aus der Zeit des Endes des Zweiten Weltkriegs bzw. des folgenden Kalten Krieges. Aus dieser Perspektive heraus ist das politische System der Bundesrepublik Deutschland von „links“ und „rechts“ bedroht. In der sozialwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus wird das Extremismusmodell, nach dem auch der Verfassungsschutz politische Spektren einteilt, stark kritisiert.
Das Modell kann aber auf alle politischen Spektren angewandt werden, die die FDGO aktiv-kämpferisch beseitigen wollen, wie z.B. Islamistischen Extremismus, Reichsbürger und Selbstverwalter oder das neue Spektrum („Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“). Letzteres entspricht einer Melange aus Coronaleugner*innen, Rechtsextremismus, Reichsbürger*innen und Verschwörungsgläubigen.
Bleiben Sie auf dem Laufenden:
Abonnieren Sie unseren Newsletter!
Politischer Extremismus – Links & rechts
Aus Perspektive der Extremismustheorie definiert sich Linksextremismus als ein Sammelbegriff für alle politischen Bestrebungen, die sich gegen das Prinzip der freiheitlich-demokratischen Grundordnung (FDGO) richten und auf einer Verabsolutierung der Werte von Freiheit und (sozialer) Gleichheit beruhen. Insbesondere werden Ideen und Theorien des Anarchismus und Kommunismus genannt. Vor allem die Gegnerschaft zum Kapitalismus ist hier angeblich zentrales Element der Ideologie. Kritik am Kapitalismus ist aber nicht an und für sich extremistisch.
Rechtsextremismus wird als ein politisches Phänomen bezeichnet, das nationalistische, antisemitische, rassistische und fremdenfeindliche Ideologieelemente besitzt und auf einem völkischen (ethnisch), rassistischen und antisemitischen Weltbild beruht. Rassismus und Antisemitismus sind an und für sich antidemokratisch, weil sie die Wertigkeit und die Gleichheit vor dem Gesetz aller Menschen infrage stellen. Diese Infragestellung verstößt gegen Menschenrechte und demokratische Werte des Grundgesetzes.
In ihrer Beschreibung der Extremismustheorie bemühen Backes und Jesse ein sogenanntes Hufeisenmodell. Die Enden des politischen Spektrums von links nach rechts biegen sich entsprechend der Enden eines Hufeisens. Grund dafür ist laut der Theorie, dass sich beide in ihren Strukturen ähneln beziehungsweise nicht weit voneinander entfernt sind. Diese Gleichsetzung von Links- und Rechtsextremismus wird in den Sozialwissenschaften um die Auseinandersetzung mit Extremismus und demokratiefeindlichen Bestrebungen stark kritisiert.
Hintergrund ist, dass die Gleichsetzung von Links- und Rechtsextremismus politische Spektren auf eine Stufe stellt, die nicht miteinander gleichgesetzt werden können. Zudem gibt es nur unzureichende Definitionen vom sogenannten „Linksextremismus“. Diese Kritik am Extremismusmodell entspringt auch politischen Debatten über das Gefährdungspotenzial extremistischer Spektren. Die strikte Auslegung des Extremismusmodells und die Praxis der Verfassungsschutzbehörden wurde lange Zeit und wird auch heute noch dafür kritisiert, dass die Gefahr eines Linksextremismus häufig überhöht und dem Rechtsextremismus gleichgestellt wird. Aus diesem Grunde sei die Gefahr des Rechtsextremismus lange Zeit nicht ernst genommen worden.
Religiös begründeter Extremismus
Unter religiös begründetem Extremismus verstehen wir als BAG RelEx Bestrebungen, die sich gegen die grundlegenden Prinzipien des demokratischen Verfassungsstaates richten und religiös bzw. religiös-politisch begründet werden. Anstelle der parlamentarischen Demokratie soll ein politisches System installiert werden, das sich auf eine spezifische Interpretation einer Religion beruft und eine Gleichschaltung und Homogenisierung aller gesellschaftlichen Sphären (Gesellschaft, Politik, Kultur, Staat etc.) anstrebt.
Aus der Perspektive zivilgesellschaftlicher Träger der Demokratieförderung und Prävention gegen religiös begründeten Extremismus (d. h. Islamismus bzw. islamistischem Extremismus, christlichem Extremismus/Fundamentalismus und andere Formen) ist es essenziell, den Blick und damit auch das zivilgesellschaftliche Handeln auf Denk- und Handlungsweisen zu richten, die sich nicht nur explizit gegen das politische System und deren Institutionen im Sinne der FDGO richten. Es ist wichtig, auch solche Denk- und Handlungsweisen in den Blick zu nehmen, die auf die konkrete gesellschaftliche Ebene und damit das alltägliche Zusammenleben zielen.
Überschneidungen zwischen politischem & religiös begründetem Extremismus
In Fachkreisen wird in Bezug auf politischen und religiös begründeten Extremismus debattiert, inwiefern religiös begründeter Extremismus auf die Religion oder auf einer politischen Auslegung einer Religion beruht. Dabei wird auch diskutiert, ob es z. B. bei den Formen des islamistischen Extremismus im Kern nicht eher darum geht, den Koran politisch zu interpretieren und eine Gesellschaft nach diesen Rahmenbedingungen aufbauen wollen. Dementsprechend handelt es sich bei religiös begründetem Extremismus um politischen Extremismus – dies ist kein Gegensatz.
Stellen Sie hier Ihre Anfrage für Interviews.
Islamismus
Islamismus oder islamistischer Extremismus lässt sich als Variante politischer Ideologien beschreiben, die sich religiös beziehungsweise politisch begründen.
In der sozialwissenschaftlichen Forschung wird nur noch selten diskutiert, inwieweit eine Religion „an und für sich“ extremistisch ist oder extremistische Haltungen verursacht und anstößt. Die überwiegende Mehrheit der Forscher*innen und auch Praktiker*innen zivilgesellschaftlicher Träger verstehen islamistischen Extremismus als Sammelbezeichnung für politische Bestrebungen, die ihre Ansinnen religiös begründen, jedoch ist nicht eine Religion selbst an und für sich extremistisch oder induziert notwendigerweise Radikalisierungsprozesse, die in extremistische Ideologien münden. Die Debatte darum konzentriert sich seit den islamistischen Terrorattentaten auf das World Trade Center in New York City am 11. September 2001 auf die Frage, ob sich „der“ Islam radikalisiert hat oder ob extremistisch-politische Gruppen „den“ Islam missbrauchen und die Religion radikalisieren.
Islamismus zielt auf die Einführung einer sozialen und politischen Ordnung auf Grundlage der eigenen Interpretation des Korans. Islamistischer Extremismus geht von der Existenz einer göttlichen beziehungsweise gottgewollten absoluten Ordnung des gesamten individuellen und gesellschaftlichen Lebens aus. Diese göttliche Ordnung steht im extremistischen Denken über dem Grundgesetz, weil dieses von Menschen gemacht und nicht göttlichen Ursprungs ist.
Islamismus und islamistischer Extremismus sind Begriffe, unter denen sich verschiedene Strömungen und Gruppierungen zusammenfassen lassen, die sich ideologisch und strategisch sehr voneinander unterscheiden können. Im Kern steht die Berufung auf die eigene Interpretation des Islam, die angeblich die einzig wahre Auslegung sei und dabei fundamentale antidemokratische Elemente besitzt. Oft wird auch der Begriff des islamistischen Terrorismus verwendet – Islamismus ist jedoch nicht zwangsläufig mit terroristischer Gewalt verbunden.
In der Fachdebatte wird immer wieder vom sogenannten legalistischen Islamismus gesprochen. Aus wissenschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Perspektive wird der Begriff jedoch als zu vage beschrieben. Legalistischer Islamismus soll laut Verfassungsschutz solche Bestrebungen beschreiben, die sich gegen die FDGO richten, jedoch mit legalen Mitteln gegen sie vorgehen. Diese Bestrebungen drängen auf politische und gesellschaftliche Einflussnahme, ohne jedoch offen Gewalt zu propagieren. Eine aktiv-kämpferische Haltung und damit auch gewalttätige Aktionen sind jedoch Kernelemente extremistischer Bestrebungen. Insofern ist der Begriff des legalistischen Islamismus ungenau.
Sie wollen mehr zu den Themen Islamismus und Islamismusprävention erfahren? Wir haben Ihnen die wichtigsten Informationen zusammengestellt.
Salafismus
Salafismus ist eine Strömung innerhalb des Islam, aber auch innerhalb des Islamismus, die den Koran wortwörtlich auslegt und das individuelle Leben dementsprechend ausrichtet. Salafismus ist also nicht gleichbedeutend mit Islamismus. Der Begriff Salafismus leitet sich aus dem Arabischen von den „frommen Altvorderen“ ab, womit die ersten drei Generationen von Muslimen (7. bis 9. Jahrhundert) gemeint sind. Salafismus ist eine relativ kleine Strömung von Muslim*innen. Eine Orientierung an den Anfängen des Islam kann nicht per se als extremistisch bezeichnet werden. Zudem streben nicht alle Salafist*innen auch nach einer gesellschaftlichen Umwälzung der politischen Verhältnisse, sondern beschränken sich auf individuelle und private Lebensweisen.
Einige Sozialwissenschaftler*innen bevorzugen aus diesen Gründen die Bezeichnung „Neo-Salafismus“. Sowohl Salafismus als auch Neo-Salafismus beziehen sich in öffentlichen und fachlichen Debatten insbesondere auf die salafistischen Gruppierungen, die sich seit dem 11. September 2001 an jihadistischen Gruppierungen wie Al-Qaida oder den so genannten Islamischen Staat (IS) orientiert haben. In Bezug auf Salafismus und Jihadismus wurde festgestellt, dass sich ein großer Teil der jihadistischen Gruppierungen aus Salafist*innen rekrutiert. Umgekehrt sind aber bei weitem nicht alle Salafist*innen auch gleichzeitig Jihadist*innen. Der Verfassungsschutz teilt den Salafismus häufig ein in drei Strömungen ein:
- puristische Salafist*innen
- politische Salafist*innen
- terroristische Salafist*innen
Hier finden Sie weitere Informationen zu Salafismus und Salafismusprävention.
Engagement gegen extremistische Bestrebungen
Als Bundesarbeitsgemeinschaft religiös begründeter Extremismus (BAG RelEx) sind wir die Dachorganisation der Träger der Islamismusprävention in Deutschland. Die BAG RelEx ist im November 2016 von 25 Trägern gegründet worden und mittlerweile auf über 30 Mitgliedsorganisationen aus dem gesamten Bundesgebiet gewachsen, die sich beispielsweise als Beratungsstellen für Radikalisierung engagieren. Der Gründungsgedanke und weiterhin Leitgedanke ist das gemeinsame Engagement gegen religiös begründeten Extremismus.
Wir fördern die bundesweite Vernetzung von zivilgesellschaftlichen Akteuren aus ganz Deutschland, die sich für Demokratieförderung, Prävention und Deradikalisierung im Bereich des religiös begründeten Extremismus engagieren. Die BAG RelEx bietet eine Plattform für den Fachaustausch, um die inhaltliche und methodische Weiterentwicklung Themenfeldes zu gewährleisten. Unsere Mitgliedsorganisationen sind mit Projekten und Angeboten in der Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention tätig und decken alle Bereiche der Radikalisierungsprävention ab.
Anfang 2020 haben wir gemeinsam mit Violence Prevention Network und ufuq.de das Kompetenznetzwerk „Islamistischer Extremismus“ (KN:IX) ins Leben gerufen. Für unsere Arbeit im Rahmen von KN:IX werden wir durch das Bundesprogramm “Demokratie leben!” des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) gefördert. Weitere Förderung erhalten wir durch die Landeskommission Berlin gegen Gewalt und im Rahmen des Landesprogramms „Hessen – aktiv für Demokratie und gegen Extremismus“.
Haben Sie weiterführende Fragen zu religiös begründetem Extremismus und Prävention? Als BAG RelEx bilden wir eine Plattform für Wissensvermittlung, Auseinandersetzung und Fachaustausch. Schauen Sie hier vorbei, falls Sie mehr über unsere Arbeit erfahren wollen. Gerne können Sie sich mit Ihren Fragen auch direkt an uns werden. Nutzen Sie dazu unser Kontaktformular.