13. April 2021 | BAG RelEx

Fachgespräch Legalistischer Islamismus – ein Rückblick

Im öffentlichen und politischen Diskurs wird der Legalistische Islamismus als „die neue Gefahr“ konstruiert, die immer stärker zu werden scheint und als Herausforderung für die Radikalisierungsprävention gesehen wird. Für unser Fachgespräch konnten wir drei Expert*innen gewinnen, die uns mit ihren Vorträgen einen tieferen Einblick in die Thematik gewährten.

In der öffentlichen Diskussion wird der Begriff Legalistische Islamismus synonym mit Begriffen wie politischer Islam oder Islamismus verwendet. Im Rahmen des Fachgesprächs am am 30. März 2021 wurde speziell auf die Wirkung der Begriffe im öffentlichen und politischen Diskurs sowie mögliche Folgen für Muslim*innen, die Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen und für die Gesellschaft im Allgemeinen eingegangen. Zunächst wurde der Blick auf Österreich und die Entwicklungen rund um die Einrichtung der Dokumentationsstelle Politischer Islam gerichtet und vorangegangene Entwicklungen als auch mögliche Folgen angesprochen. Im zweiten Vortrag wurde der Fokus auf den deutschen Kontext gelegt und die Auswirkungen der Diskussion auf Muslim*innen sowie die Arbeit muslimischer Verbände und Vereine in den Blick genommen. Abschließend folgte eine Abgrenzung der unterschiedlichen, teils synonym verwendeten, Begriffe, die im Diskurs Verwendung finden. Im Anschluss an ihre jeweiligen Vorträge standen uns die Expert*innen für Rückfragen und Diskussionen zur Verfügung. Die Vorträge wurden gehalten von:

  • Dr. Daniela Pisoiu (Österreichisches Institut für internationale Politik)
    Die Debatte rund um den Politischen Islam in Österreich und ihre Folgen
    Dr. Pisoui ist seit 17 Jahren in der Radikalisierungs- und Terrorismusforschung tätig. Sie lehrt an der Univeristät Wien im Bereich der Antiterrorpolitik und engagiert sich bei RAN, dem Radicalisation Awareness Network. Zu ihren Veröffentlichungen zählen u. a: „Theories of Terrorism“ (2017) und „Islamist Radicalisation in Europe“ (2012).
  • Matthias Schmidt (Bündnis der islamischen Gemeinden in Norddeutschland e. V.)
    Wirkung des Diskurses auf Muslime sowie auf die Arbeit muslimischer Träger
    Matthias Schmidt ist seit 2015 in der Prävention gegen religiös begründeten Extremismus tätig. Derzeit leitet er das Präventionsprojekt Kamil 2.0 in Hamburg. Er war in einem Präventionsprojekt in Bremen tätig, bevor er 2018 mit Kamil (1.0) ein eigenes Projekt beim Hamburger Träger Bündnis der Islamischen Gemeinden in Norddeutschland e.V. (BIG) umsetzte.
  • Prof. Dr. Dr. h.c. Gudrun Krämer(Freie Universität Berlin)
    Islam, Islamismus, Fundamentalismus: eine Begriffsklärung
    Prof. Dr. Krämer ist im Rahmen des Exzellenzclusters SCRIPTS ( Contestations of the Liberal Script) Seniorprofessorin an der Freien Universität Berlin, wo sie von 1996 bis 2019 das Institut für Islamwissenschaft und zugleich, von 2007 bis 2018, die Berlin Graduate School Muslim Cultures and Societies leitete. Gastdozenturen und Fellow-Einladungen führten sie nach Bologna, Erfurt, Leipzig und Paris, Beirut, Kairo, Jakarta und Peking.

 

Die Debatte rund um den Politischen Islam in Österreich und ihre Folgen

Die Einrichtung der Dokumentationsstelle Politscher Islam in Österreich (Österreichischer Fonds zur Dokumentation von religiös motiviertem politischen Extremismus) hat in jüngster Zeit viel Aufsehen erregt und die Debatte rund um den Begriff Politischer Islam weiter angefacht.  Dr. Daniela Pisoui hat in ihrem Vortrag eine Bestandsaufnahme der Debatte in den Österreichischen Medien vorgenommen und die Folgen dieser kontroversen Debatte in Gesellschaft und Politik skizziert.

In Bezug auf die Dokumentationsstelle betonte Frau Pisoui die Vagheit der gewählten Definition von Politischem Islam. Es gäbe Stimmen, die den Politischen Islam gefährlicher einschätzen als Ideologien, die sich an den Salafismus oder Dschihadismus anlehnen, berichtet sie. Dabei wird klar zwischen Salafismus/ Dschihadismus auf der einen und Politischem Islam auf der anderen Seite unterschieden.

Anhand des Berichts über die Einschätzung der Gefahrenlage im Bereich des Islamismus aus dem Jahr 2019 zeigte Pisoui, dass eine erhöhte Bedrohungslage durch islamistischen Extremismus unverändert dem salafistisch/dschihadistischen Spektrum zugeordnet werde. Im Verfassungsschutzbericht von 2019 findet der Begriff Politischer Islam keine Erwähnung.

Pisoui widmete sich dem geforderten Straftatbestand in Österreich, der rigorosen Maßnahmen gegen Politischen Islam vorgehen will. Um konkrete Taten zu bestrafen, fehle es, so Pisoui, an klaren Zahlen, Fakten und einer Datensammlung. In Österreich gäbe es keine Klarheit über die Gruppierungen und Strömungen, denen eine religiös motivierte extremistische Ideologie nachgesagt werde.

Laut Pisoui liege das Hauptproblem darin, dass in Österreich von bestimmten Akteuren der Politische Islam mit Extremismus gleichgesetzt werde. Das bedeute auch, dass unweigerlich pauschalisiert werde –  alles was mit dem Islam zu tun habe, sei potenziell extremistisch.

Sie betonte, dass sich in Österreich geweigert werde, einen anderen Begriff zu verwenden und so weiterhin stark pauschalisiert und generalisiert wird. Als Beispiel für diese Art von Generalisierung nannte sie die Kopftuchdebatte und die Diskussion, darin Signale für Extremismus zu erkennen.

Sie betonte, dass gegen alle Formen von Extremismus präventiv vorgegangen werden müsse. Sie plädierte jedoch dafür, genau zu definieren, welches Verständnis von Extremismus nach außen getragen werde und welche Elemente und Phänomene als strafbar eingestuft werden. Es bedürfe einer klaren definitorischen Trennung zwischen extremistischen Handlungen, konservativer Religiosität und religiösen Alltags-Praktiken.

 

Wirkung des Diskurses auf Muslime sowie auf die Arbeit muslimischer Träger

Matthias Schmitt schilderte als Leiter des Präventionsprojekts Kamil 2.0, wie sich die Verwendung der Begrifflichkeiten wie Legalistischer Islamismus oder Politischer Islam sowie ihre fehlende Abgrenzung auf die Arbeit muslimischer Träger auswirke.

So wie der Begriff Legalistischer Islamismus im deutschen Kontext benutzt werde, würden darunter Menschen, Gruppierungen und Vereine gefasst, denen vorgeworfen werde, islamistische Ziele zu verfolgen und Staat und Gesellschaft zu unterwandern, indem sie sich rechtsstaatlicher und legaler Mittel bedienen, bzw. sich innerhalb der Rechtsnormen bewegen. Dieser Vorwurf steht oft ohne jeglichen Nachweis im Raum. Anhand einiger aktueller Beispiele zeigte Matthias Schmitt auf, wie pauschalisierend die Begriffe in politischen Debatten und Statements verwendet werden.

In der aktuellen medialen und politischen Verwendung des Begriffes Legalistischer Islamismus finde eine Fremdzuschreibung fern ab von der Lebensrealität statt, so Schmitt. Die Arbeit muslimischer Zivilgesellschaft und Moscheeverbände werde hierdurch erschwert und teils delegitimiert.  Muslim*innen, die sich ehrenamtlich und politisch engagieren, haben die Befürchtung, mit den vorherrschenden negativen Assoziationen in Verbindung gebracht zu werden und sich für ihr Engagement rechtfertigen zu müssen. Die Art der Vorwürfe, die hinter den Begriffen Politischer Islam und Legalistischer Islamismus stecken, erschweren die Arbeit muslimscher Träger in der Präventionslandschaft erheblich und führen zu einem Rechtfertigungsdilemma. Die Träger müssen sich nach außen glaubwürdig positionieren, ohne sowohl innerhalb als auch außerhalb ihres Tätigkeitsbereichs verdächtigt und pauschal verurteilt zu werden.

Schmitt betonte abschließend, dass sich muslimische Träger und ehrenamtlich engagierte Muslim*innen in diesem Machtdiskurs einer Fremdzuschreibung, Objektivierung und einem Rechtfertigungsdrang ausgesetzt fühlen. Gegen diese Art von Schuldvermutung können sich die Betroffenen nur schwer zur Wehr setzen.

 

Islam, Islamismus, Fundamentalismus: eine Begriffsklärung

Gudrun Krämer nahm in ihrem Vortrag einen historischen Exkurs vor in die Genese der verschiedenen Begrifflichkeiten. Sie machte dabei deutlich, dass eine eindeutige und grundsätzliche Abgrenzung von Religion und Politik, und somit von Islam, Islamismus und im weiteren Schritt von Fundamentalismus vorgenommen werden müsse.

Bei der Verwendung der einzelnen Begriffe sei Präzision gefragt. Bei einer fehlenden Trennschärfe und Definition wird beispielsweise der Begriff Politischer Islam absolut unbrauchbar. Wenn man deutlich machen möchte, dass es sich nicht um den Islam im Sinne der religiösen Orientierung, sondern um einen Islam als politische Kraft handele, sei  ist die Verwendung des Begriffs „politischer Islam“ berechtigt und richtig, so Krämer.

Krämer argumentiert, dass eine Politik, die sich an muslimischen Werten orientiere, als legitim betrachtet werden müsse, solange sie sich in den Rechtsnormen bewege. Politik und politische Aktivitäten in all ihren Ausführungen seien grundsätzlich anzuerkennen und legal, solange sie weder gegen Gesetze verstoßen noch den demokratischen Rechtsstaat und das Grundgesetz auszuhebeln versuchen.

Verstoße politisches Engagement allerdings gegen grundsätzliche Regeln und Gesetze und nutze den Rechtsrahmen zweckentfremdend aus, könne das weder von der Gesellschaft noch vom Staat toleriert werden. Dies gelte jedoch für jegliches politisches Engagement, unabhängig von der religiösen Prägung der handelnden Akteure.

Eine reflektierte Begriffsverwendung und eine klare Unterscheidung der Phänomene sei wichtig und notwendig, plädiert sie. Die Verwendung von Begriffen, die im Sicherheitsdiskurs in Teilen ihre Berechtigung haben, könnten im politischen Raum erheblichen Schaden anrichten.

 

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