26. January 2021 | BAG RelEx

Fachgespräch Verschwörungstheorien – ein Rückblick

Verschwörungstheorien stehen seit Ausbruch der Corona-Pandemie verstärkt im öffentlichen Fokus und erfahren auch innerhalb unserer Mitgliedschaft noch stärkere Aufmerksamkeit als zuvor. Aus diesem Grund haben wir uns dem Thema im Rahmen eines Fachgespräches gewidmet. Die Veranstaltung wurde in Kooperation mit PROvention – der Präventions- und Beratungsstelle gegen religiös begründeten Extremismus in Schleswig-Holstein für unsere Mitgliedsorganisationen sowie ausgewählte Projekte des Landesprogramms Hessen – aktiv für Demokratie und gegen Extremismus am 20. Juli 2020 durchgeführt.

Die Teilnehmenden konnten sich über Verschwörungstheorien im Allgemeinen austauschen und in diesem Kontext verwendete Begriffe reflektieren. Weiterhin konnten sie über Erfahrungen aus dem eigenen Phänomenbereich diskutieren sowie gemeinsam Übertragungsmöglichkeiten aus der Arbeit gegen Rechtsextremismus prüfen. Für einen vertiefenden Einblick in die Thematik haben wir drei Expert*innen gewinnen können, die im Rahmen des Fachgesprächs mit ihren Vorträgen jeweils den Ausgangspunkt für die anschließenden Diskussionen lieferten. Die Vorträge zu den entsprechenden Themenblöcken wurden gehalten von:

  • Pia Lamberty (Johannes Guttenberg-Universität Mainz)
    Psychologische Perspektive auf Verschwörungserzählunge
    Die Sozialpsychologin Pia Lamberty forscht seit Jahren zu Verschwörungserzählungen. Sie ist Doktorandin der Abteilung für Sozial- und Rechtspsychologie an der Johannes Guttenberg-Universität zu Mainz und ist u. a. Mitautorin des Buchs Fake Facts: Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen.
  • Dr. Hazim Fouad (Landesamt für Verfassungsschutz Bremen)
    Verschwörungsmythen im Islamismus

    Dr. Hazim Fouad ist Islamwissenschaftler und beschäftigt sich seit Jahren mit den Themen Islamismus und Salafismus. Im Rahmen seiner Promotion widmete er sich innermuslimischer Salafismuskritik. Neben seiner Tätigkeit für das Landesamt für Verfassungsschutz veröffentlichte er diverse Fachartikel sowie u. a. das Buch Salafismus – Auf der Suche nach dem wahren Islam.
  • Jan Rathje (Amadeu Antonio Stiftung)
    Verschwörungstheorien in der praktischen Arbeit: Erfahrungen aus dem rechtsextremen Spektrum
    Jan Rathje ist Politikwissenschaftler und arbeitet aktuell für die Amadeu Antonio Stiftung. Vor seiner Tätigkeit für die Amadeu Antonio Stiftung arbeitete Jan Rathje in der mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus. Die Schwerpunkte seiner Arbeit sind Antisemitismus und Verschwörungsideologien. In diversen Formaten und Fachartikeln konnte er in den vergangenen Jahren die Ergebnisse seiner Arbeit einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung stellen.

Psychologische Perspektive auf Verschwörungserzählungen

Pia Lamberty widmete sich in ihren Ausführungen der psychologischen Perspektive auf Verschwörungserzählungen. Laut der von ihr vorgebrachten Definition ist eine Verschwörungserzählung eine „Erklärung für wichtige Ereignisse, die geheime Verabredungen durch Gruppen beinhaltet, die als mächtig uns böswillig wahrgenommen werden“. Aus psychologischer Sicht wird von einer kohärenten Verschwörungsmentalität gesprochen bzw. von einer allgemeinen Tendenz an Verschwörungserzählungen zu glauben. Psychologische Motive für den Glauben an Verschwörungserzählungen lassen sich dabei in existenziell, sozial oder epistemisch unterteilen. Personen deren Verschwörungsglaube ein existenzielles Motiv zugrunde liegt, streben durch das Festhalten an Verschwörungserzählungen nach Sicherheit und Kontrolle. Soziale Motive hingegen sind in dem Ziel begründet, das eigene Selbst oder die eigene Gruppe zu überhöhen und folglich als positiv wahrzunehmen. Epistemische Motive dienen dazu Ereignisse oder Lebensumstände verständlicher erscheinen zu lassen. Allen Motiven ist gemein, dass sie verstärkt greifen, wenn einschneidende und bedeutende Ereignisse (z. B. Pandemien, politische Umstürze, Wirtschaftskrisen) auf persönlicher und gesellschaftlicher Ebene eintreten, die in ihrer Komplexität schwer verständlich erscheinen oder schwer zu ertragen sind. Widersprüche können in diesem Rahmen nur bedingt ausgehalten werden, sodass nach durchgängigen Mustern und verdeckten Intentionen gesucht wird, die das jeweilige Ereignis begreifbarer machen. Verschwörungserzählungen wirken somit erleichternd und strukturierend für Verschwörungsgläubige.

Laut der von Pia Lamberty vorgestellten Studien waren Verschwörungserzählungen in Deutschland auch vor der Pandemie weit verbreitet. Die Erhebungen weisen auch auf die Verteilung von Verschwörungsglauben innerhalb der Gesellschaft hin. So glauben u. a. mehr Männer als Frauen an Verschwörungserzählungen und auch der Bildungsgrad scheint Einfluss auf den Verschwörungsglauben zu haben. Dies gilt jedoch nicht für das Alter sowie einen möglichen Migrationshintergrund. Auch zwischen Ost- und Westdeutschland sind keine signifikanten Unterschiede zu erkennen. Zum Abschluss ihres Vortrags wies Lamberty noch einmal eindringlich auf mögliche Konsequenzen von Verschwörungsglauben hin. Die verstärkten Feindbilder und ein zunehmendes Schwarz-Weiß-Denken könnten in letzter Konsequenz Gewalt gegenüber dem konstruierten Feind legitimieren. Im Umgang mit Verschwörungsgläubigen rät sie zu Dialog im privaten Umfeld und zu Gegenrede im öffentlichen Diskurs (z. B. Social Media). Ein Zugang über Faktenvermittlung hält sie, genau wie die Pathologisierung von Verschwörungsgläubigen, für nicht zielführend.

Verschwörungsmythen im Islamismus

Dr. Hazim Fouad plädierte im Kontext von Verschwörungsmythen im Islamismus für die Verwendung des Begriffs Verschwörungsmythos. Aus seiner Sicht kann innerhalb einer Ideologie wie dem Islamismus keine weitere Ideologie bestehen. Verschwörungen werden vielmehr als Mythos genutzt, um die jeweilige Ideologie zu legitimieren. Als Beispiel verwies er auf die Protokolle der Weisen von Zion, die bereits dem Nationalsozialismus als Legitimation dienten und auch nach dem Beweis ihrer Fälschung weiterhin als Mythos zur Legitimation anderer Ideologien dienen. Gängige Verschwörungsmythen im islamistischen Spektrum analysierte Dr. Fouad mit Blick auf den kulturellen und politisch-historischen Kontext. Islamistische Organisationen wie z. B. die Muslimbruderschaft, Hamas oder Hizb ut-Tahrir nutzen den Mythos des sogenannten Kulturimperialismus um ihre jeweilige Ideologie zu legitimieren und den Westen als durchweg imperialistisch und böse zu konstruieren. Neuere Verschwörungsmythen hingegen, schließen sehr stark an die vorherrschenden Ideen in Europa an und ranken sich um Freimaurer, Illuminaten oder eine vermeintliche jüdische Weltverschwörung. Sie weisen damit ähnliche antisemitische Einfärbungen auf, wie sie auch in anderen Verschwörungsmythen weltweit zu beobachten sind, auch wenn sie geschichtlich und politisch anders gewachsen sind. Im Nahen und Mittleren Osten tauchten diese Begründungsmuster erst mit der Gründung des Staates Israel im Jahr 1948 auf. Für die Betrachtung von Verschwörungsmythen, die antisemitisch begründet werden, hält Hazim Fouad eine Unterteilung in religiösen sowie politischen Antisemitismus für zielführend. Um den Absolutheitsanspruch der eigenen Religion zu untermauern, werden antisemitische Narrative genutzt, die das Judentum abwerten sollen. Im politischen Sinne dienen sie hingegen dazu die eigene wirtschaftliche und soziale Macht zu überhöhen und ein gewaltsames Vorgehen zu legitimieren. Im Rahmen der aktuellen Entwicklungen in Deutschland rund um die Pandemie beobachtet Hazim Fouad, dass verschiedene Deutungen kursieren. Zum einen deuten islamistische Akteure Corona als ein Zeichen der Schwäche des kapitalistischen Wirtschaftssystems und der liberalen Gesellschaftsordnung (u. a. Hizb ut-Tahrir). Zum anderen wird die Pandemie im salafistischen Spektrum als Strafe Gottes stilisiert, die alle Ungläubigen trifft. Zudem ließe sich in Deutschland in Zeiten der Pandemie innerhalb der islamistischen Szene teilweise ein Schulterschluss mit rechten Verschwörungsgläubigen beobachten, wie gemeinsame Formate in sozialen Medien und auf YouTube zeigten. Seiner abschließenden Einschätzung nach gäbe es zwar grundsätzlich Sympathien zu Verschwörungsmythen mit Bezug auf Corona, jedoch erfolgt in der islamistischen Szene eher wenig aktive Weiterverbreitung.

Verschwörungstheorien in der praktischen Arbeit: Erfahrungen aus dem rechtsextremen Spektrum

Jan Rathje stellte in seinem Vortrag die Ergebnisse und Beobachtung seiner Arbeit im rechten Milieu vor. Zur richtigen Einordnung des Phänomens unterschied er zwischen einer Verschwörung, die tatsächlich geschehen könne, und einer Verschwörungshypothese, die lediglich die Vermutung einer Verschwörung ausdrücke. Beides sei seiner Aussage nach in einem demokratischen Kontext nicht per se illegitim. Problematisch wäre es erst, wenn sie immun gegen jegliche Kritik, unhinterfragt und dogmatisch sei. In diesem Fall spricht er von Verschwörungserzählungen, aus denen sich Verschwörungsideologien bzw. -mythen entwickeln, welche sich um real existierende (z. B. CIA, Freimaurer) oder konstruierte Gruppen (die Migrant*innen, die Jüd*innen) ranken.

Die Grundlage rechtsextremer Verschwörungsideologien bildet die Vorstellung, dass eine Macht die so genannte natürliche Ordnung der Gesellschaft verändern wolle, welche aufrechtzuerhalten sei. Diese Erzählungen bedienen sich vor allem rassistischer und antisemitischer Argumentationen, die eine jüdische Weltherrschaft oder den Austausch der deutschen Gesellschaft durch Migrant*innen, vordergründig Muslim*innen, vermutet. Die Verschwörungsideologien sollen sinn- und identitätsstiftend wirken, Menschen ihr persönliches Leiden und Scheitern erklären und damit Verantwortungsabgabe und Entlastung ermöglichen. Zudem werten sie die eigene konstruierte Gruppe auf und die als Feinde vermutete Gruppe ab und steigert somit sowohl den Selbstwert als auch den Wert der eigenen Zugehörigkeit. In der Folge können die Ideologien außerdem als Legitimation von Gewalt dienen, da die Verteidigung gegen die konstruierten Feinde aus der eingenommenen Opferposition heraus als notwendiges Mittel im Überlebenskampf der eigenen Gruppe gesehen werden kann. Dies sieht Jan Rathje auch als eine der gesellschaftlichen Gefahren von Verschwörungsideologien. Sie delegitimieren demokratische Standards, negieren die Pluralität der Gesellschaft, fördern Diskriminierung rassistischer und antisemitischer Ausprägung und gefährden in ihrer extremsten Erscheinungsform Menschenleben.

Für den Umgang mit Verschwörungsgläubigen sieht er auf unterschiedlichen Ebenen erfolgversprechende Herangehensweisen. Im Kontext Social Media hält er das so genannte Debunking, also das Aufdecken und Entlarven von Falschmeldungen und Fehlinformationen, für ein geeignetes Mittel. Im privaten bzw. direkten Kontakt, sowohl online als auch offline, rät er zum Aufdecken von Widersprüchen in den Verschwörungserzählungen. Beide Herangehensweisen sollen einen Prozess der Selbstreflexion anstoßen und ein Hinterfragen der eigenen Sichtweisen ermöglichen. Diese Strategien setzen allerdings voraus, dass sich das Gegenüber der Situation stellt und sich dem Austausch nicht entzieht. Dies wird bei vorangeschrittener Verinnerlichung der Ideologie jedoch zunehmend schwerer.

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