26. March 2021 | BAG RelEx
Fachgespräch Antimuslimischer Rassismus – ein Rückblick
Im Rahmen des Fachgesprächs haben wir uns sowohl der Herleitung zum Thema, wie auch den Herausforderungen für die Präventionsarbeit gewidmet. Antimuslimischer Rassismus (AMR) ist ein gesellschaftliches Problem, das auch in Bezug auf die unsere Arbeit und die unserer Mitgliedsorganisationen relevant ist. Zum einen wird von vielen der zivilgesellschaftlichen Trägern in dem Feld die Notwendigkeit erkannt, über antimuslimischen Rassismus und seine Rolle im Kontext von Radikalisierungsprozessen zu sprechen. Zum anderen beobachten wir, wie in der öffentlichen Debatte um unser Themenfeld, Diskussionen und Argumentationsmuster auftauchen, die regelmäßig zumindest tendenziell antimuslimische Narrative bedienen.
Aufgrund seiner Aktualität und Relevanz haben wir im Februar 2021 ein Fachgespräch zum Thema Antimuslimischer Rassismus veranstaltet. Um einen tieferen Einblick in die Thematik zu bekommen, haben wir das Fachgespräch in zwei Themenblöcke unterteilt und dafür zwei Expertinnen gewinnen können. In dem ersten Themenblock wurde eine Herleitung zum Thema AMR vorgenommen und sich angeschaut, was genau unter antimuslimischem Rassismus verstanden werden kann. Im zweiten Vortrag wurde AMR aus der Perspektive der präventiven Praxis beleuchtet. Im Anschluss an die impulsgebenden Vorträge, wurde der Raum für eine Diskussion mit und unter den Teilnehmenden geöffnet. Die Vorträge der beiden Themenblöcke wurden gehalten von:
- Saba-Nur Cheema (Pädagogische Leiterin der Bildungsstätte Anne Frank-Zentrum für politische Bildung und Beratung in Frankfurt)
Einordnung des Begriffs und Herleitung zum Thema
Cheema studierte Politikwissenschaft an der Goethe-Universität und ist Dozentin an der Frankfurt University of Applied Science im Bereich Soziale Arbeit. Aktuell arbeitet Sie als pädagogische Leiterin in der Bildungsstätte Anne Frank. Ihre Themenschwerpunkte sind: Bildungsarbeit gegen Antisemitismus und Rassismus, Islam- & Muslimfeindlichkeit und Religionspluralität. Zu ihren Veröffentlichungen zählen u. a. „Trigger Warnung. Identitätspolitik zwischen Abschottung, Allianzen und Abwehr“ (2019, als Hrsg. mit Berendsen/Mendel) und „(K)Eine Glaubensfrage. Religiöse Vielfalt im pädagogischen Miteinander. Grundkenntnisse und praktische Empfehlungen für Schule und außerschulische Bildungsarbeit“ (2017).
- Karin Meißner (Forschungs- und Transferstelle für Gesellschaftliche Integration und Migration GIM an der htw saar, Fachstelle Antidiskriminierung & Diversity Saar)
Perspektive aus der Praxis auf antimuslimischen Rassismus und Islamismus
Meißner entwickelte ihr Profil von der interkulturellen und antirassistischen Arbeit hin zur zielgruppenübergreifenden Antidiskriminierung. An der Forschungs- und Transferstelle Gesellschaftliche Integration und Migration / htw Saar konzipiert und leitet sie Projekte, die den differenzsensiblen und diskriminierungskritischen Umgang mit Heterogenität in gesellschaftlichen und professionellen Strukturen fördern. Zu den von ihr initiierten und geleiteten Projekten gehören u. a. Yallah! Fach- und Präventionsstelle Islamismus und antimuslimischer Rassismus (seit 2015 als Projekt für das Landes-Demokratiezentrum Saarland).
Einordnung des Begriffs und Herleitung zum Thema
Für eine Herleitung des Phänomens AMR und für einen ersten Eindruck dieses umfassenden Diskurses sprach Saba-Nur Cheema über die genaue Definition des Begriffs und dessen Verwendung. Des Weiteren ging sie darauf ein, wie sich diese Form der Feindlichkeit äußert und wie sie wahrgenommen wird. Cheema machte klar, dass es sich bei dem Themenfeld um ein übergreifendes und alle Ebenen umfassendes Phänomen handelt, welches sich in der Mitte der Gesellschaft abspielt.
Sie stellt fest, dass der Islam im Allgemeinen mit einem negativen Image behaftet ist und in der Öffentlichkeit oftmals die positiven Seiten des Islams oder des islamischen Lebens in Deutschland gänzlich ausgeblendet werden. Dabei ging sie auf zwei sehr dominante gesellschaftliche Narrative ein. Zum einen auf das des aggressiven Muslims und das von einer vermeintlichen Rückständigkeit des Islams und Inkompatibilität mit der westlichen Welt. Zum anderen nannte sie das Narrativ der vermeintlichen Überfremdung, Islamisierung oder Kulturkampf und Geschlechterfragen, die sich in der Vorstellung der unterdrückten muslimischen Frau widerspiegelt. Diese Narrative werden von verschiedenen Seiten und in unterschiedlichen Kontexten aufgegriffen und führen dazu, dass rassistische Bilder reproduziert werden. Statistiken zu Muslimfeindschaft und Wahrnehmung des Islams zeigen, wie diese Narrative und Bilder in der Öffentlichkeit stattfinden, angenommen und wahrgenommen werden.
Die Debatte ob und wie der Begriff Antimuslimischer Rassismus überhaupt verwendet werden soll ist allgegenwertig. Saba-Nur Cheema widmete sich so der Frage, wie die Realität der Diskriminierung benannt werden soll. Sie sprach sich klar gegen den Begriff Islamkritik aus. Es handle sich bei der Verwendung des Begriffs Kritik um eine Beschönigung rassistischer Taten. Zudem wird dieser Begriff teilweise dazu genutzt, vermeintlich sachliche Kritik zu üben während tatsächlich Muslim*innen und muslimische Lebenswelten unter Generalverdacht gestellt werden. Islamophobie wird, auch wenn er sich im englischsprachigen Raum durchgesetzt hat, durch den damit zusammenhängenden Krankheits-Bezug kritisch betrachtet. Die Begriffe Muslim- und Islamfeindlichkeit finden im deutschen Raum häufiger Gebrauch. Der Begriff AMR soll und kann ihrer Meinung nach auch verwendet werden, da betreffende diskriminierende Handlungen mit klar rassistischen Bildern zu tun haben und so Rassismus direkt angesprochen wird. Dies impliziert auch, dass der Begriff Erfahrungen von Menschen berücksichtigt, die als Muslime markiert werden und unter Rassismus und Diskriminierung leiden, ohne tatsächlich muslimischen Glaubens zu sein. Der Kritik, Rassismus sei rein biologistisch begründet, entgegnet Cheema in ihrem Vortrag, dass die Abwertung von Muslim*innen funktioniere, weil sie rassifiziert werden. Es herrscht ein verkürztes Verständnis von und über Rassismus als Phänomen, welches überwunden werden muss.
Cheema sieht die Problematik, zu erkennen, wann wir es mit antimuslimischem Rassismus zu tun haben und wie gut und differenziert darüber gesprochen werden kann. Am jüngsten Beispiel der Anschläge in Hanau macht sie fest, wie es zu einer Instrumentalisierung von antimuslimischem Rassismus durch islamistische Gruppen kommen kann. Die Gruppierungen nutzten, so Cheema, reale Diskriminierungserfahrungen, um islamistische Propaganda anschlussfähig zu machen. Diese Instrumentalisierung ist zudem teils sehr widersprüchlich. Ihrer Meinung nach fehlt es in dieser Diskurslandschaft an einer emanzipatorischen Kritik am Islam. Sie plädiert in diesem Zuge dafür, dass Kritik am Islam oder an islamischen Praktiken prinzipiell möglich sein muss. Dies müsse jedoch geschehen, ohne direkt in einen Rassismus zu verfallen oder Menschen muslimischen Glaubens und Gruppen zu diffamieren, ohne alle unter Generalverdacht zu stellen. Ein wichtiger Teil der Korrektur des Negativ-Images sollte auch sein, innerislamische Debatten und Diskurse zu betrachten.
Was ihrer Meinung auch in der Forschung zu kurz kommt, sind Fragen rund um Säkularisierung und deren Prozesse. So werden aktuelle Fragen und Themen zu Religion in Deutschland nur über den Islam verhandelt. Die Debatte um Religion im postsäkularen Deutschland ist eine, die unbedingt und losgelöst von der Fixierung auf den Islam, geführt werden muss. Es fehlt das Einbeziehen einer liberal-säkularen Matrix, die besonders in Europa eine wichtige Rolle spielt.
Den vollständigen Vortrag von Saba-Nur Cheema finden Sie in unserer Mediathek.
Perspektiven aus der Praxis auf antimuslimischen Rassismus und Islamismus
Karin Meißner stellte in ihrem Vortrag die Arbeit und Genese des Projektes Yallah! als Fach- und Präventionsstelle für Islamismus und antimuslimischen Rassismus vor und gab so eine Perspektive aus der konkreten präventiven Praxis. Die Fachstelle fußt dabei auf zwei fachlichen Grundsätzen: Differenzsensibilität und Diskriminierungskritik. Unter dem Ansatz der Differenzsensibilität versteht man unter anderem einen Ansatz, der den Bezug auf Differenzen kritisch betrachtet und reflektiert, aber gleichzeitig die Differenzordnungen und ihre Relevanz für Machtstrukturen, für gesellschaftliche Teilhabe anerkennt. Als zweiten wichtigen Grundsatz nennt Karin Meißner die Anerkennung des Anspruchs und des Rechts auf Nichtdiskriminierung auf individueller und gesellschaftlicher Ebene. Damit verdeutlich sie ihre Position, dass (Anti)Diskriminierung eben nicht als eine bloße Haltung und Meinung zu sehen ist.
In Bezug auf den Vortrag von Saba-Nur Cheema und im Kontext der Begriffsdebatte betonte Karin Meißner die Notwendigkeit, nicht Unterscheidungen der einzelnen Rassismen vorzunehmen, sondern vielmehr die antimuslimischen Diskurse als Rassismen ins Bewusstsein zu bringen. Im Projekt Yallah! hat sich das Team somit gegen den irreführenden Begriff Islamkritik und für die Verwendung des Begriffs Antimuslimischer Rassismus entschieden. Grund für diese Wahl ist, dass sich konkrete antimuslimische Haltungen oft noch als gesellschaftlich akzeptiert zeigen, aus ihrer Perspektive jedoch als Strukturmerkmal von Rassismus gesehen werden müssen.
Einer der grundlegenden Ansätze der Fachstelle ist, die Phänomene AMR und Islamismus in ihrer Alleinstellung und ihrer Wechselwirkung zusammen zu bearbeiten und nicht wie zuvor, getrennt voneinander zu betrachten. Ihr Präventionsverständnis zielt somit auch auf beide Phänomene ab. Das Dilemma der Vermengung beider wird als Herausforderung für das Arbeitsfeld wahrgenommen und anerkannt. Durch Projekterfahrungen und -anfragen wurde von Meißner und ihrem Team eine Schieflage zwischen der Thematisierung und Förderungslogik der beiden Phänomene AMR und Islamismus und deren Vermischung im öffentlichen Diskurs erkannt. Dabei stellt sich das Team der Fachstelle auch die Frage, wie auf diese Schieflage aufmerksam gemacht werden kann. So wird die Bearbeitung des Themenfelds Islamismus als deutlich dominanter wahrgenommen. AMR betrifft jedoch weitaus mehr Menschen im Alltag und sollte klar angesprochen werden. Rassistische Haltungen und Handlungen werden weiterhin oft genutzt, um andere Extremismen zu begründen und als Türöffner zu fungieren.
In ihrem Vortrag sprach Karin Meißner von ihrem Eindruck, dass es in Bezug auf den Islam und islamisches Leben in Deutschland oft zu viel Unsicherheiten und markierenden Zuschreibungen kommt. Sie beobachtet in dem Kontext oft eine Entprofessionalisierung von Fachkräften im Themenfeld, die vor lauter Unsicherheit beim Thema Islam (o. Ä.) ihr Handwerkszeug nicht anwenden, das sie eigentlich beherrschen. Durch die Fokussierung auf das Themenfeld Islamismus kommt es zudem zu einer verstärkten Stigmatisierung von als muslimisch wahrgenommenen Menschen und Erfahrung von AMR.
Um Rassismus- und Diskriminierungskritik als Qualitätsanspruch der eigenen Arbeit verstehen zu können, müssen Kriterien zu einer korrekten Darstellung geschaffen werden. Damit antimuslimischer Rassismus bekämpft werden kann, muss eine Reflexion eigener Annahmen und Zuschreibungen erfolgen. Weiterhin muss Wissen und Methoden beispielsweise von antimuslimischen Diskursen, Rassismuskritik und der rechtlichen Rahmung vermittelt werden. In der Arbeit der Fachstelle geht es darum, dass rassismus- und diskriminierungskritische Praxis in Regelungen und Strukturen übernommen werden muss und nicht nur auf einer rein individuellen Kompetenzebene bearbeitet werden kann.
Den vollständigen Vortrag von Karin Meißner finden Sie ebenfalls in unserer Mediathek.