20. September 2022 | BAG RelEx
Die BAG RelEx als Sachverständige im Innenausschuss
Für die öffentliche Sitzung des Ausschusses für Inneres und Heimat am 19. September 2022 war Jamuna Oehlmann, Co-Geschäftsführerin der BAG RelEx, als Expertin geladen. Anlass der Sitzung war der Antrag der Fraktion der CDU/CSU „Finanzierung des politischen Islamismus in Deutschland offenlegen und unterbinden“ (Drucksache 20/1012). Lesen Sie hier unsere Stellungnahme oder landen Sie als PDF herunter. Weitere Informationen zur Ausschusssitzung sowie den Mitschnitt finden Sie auf der Website des Bundestags. Die Stellungnahme von Jamuna Oehlmann beginnt ab Minute 19:10.
Auf Herausforderungen, die sich durch „Legalistischen Islamismus“ und „Politischen Islam“ für die Präventionspraxis ergeben sowie auf die stigmatisierenden Effekte des Diskurses, ist Jamuna Oehlmann bereits in Ihrem Artikel für den KN:IX Report eingegangen. Diesen finden Sie hier.
Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung des Innenausschusses am 19. September 2022
Sachverständige: Jamuna Oehlmann, Co-Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft religiös begründeter Extremismus e. V. (BAG RelEx) und Koordinatorin des Kompetenznetzwerks „Islamistischer Extremismus“ (KN:IX).
Die BAG RelEx, als Dachorganisation von über 30 zivilgesellschaftlichen Trägern, hat sich der Vernetzung, dem Fachaustausch und der Weiterentwicklung in der Präventionsarbeit gegen islamistischen Extremismus verschrieben. Entsprechend wird der Antrag der CDU/CSU den sogenannten Politischen Islamismus und dessen Finanzierung in den Blick zu nehmen, interessiert zur Kenntnis genommen. Im Folgenden wird eine fachliche Einschätzung aus der Praxis formuliert.
Begriffsdebatte
Bei dem im Antrag verwendeten Betriff „Politischer Islamismus“ handelt es sich um einen tautologischen Begriff, der in der Debatte nicht hilfreich und unscharf ist. Der Begriff taucht in der Wissenschaft kaum auf und wird auch in der Präventionspraxis aus gutem Grund nicht verwendet. Noch problematischer ist der in politischen Debatten häufiger verwendete Begriff „Politischer Islam“. Auch Mitglieder des Expert*innenkreis Politischer Islamismus haben diesen Begriff in der Vergangenheit kritisiert. „Politischer Islam“ und „politischer Islamismus“ soll als Beschreibung für Organisationen dienen, die innerhalb der Rechtsordnung und mit demokratischen Mitteln eine Neuordnung der Gesellschaft auf der Grundlage eines Islamverständnisses anstreben, dass von demokratiefeindlichen und grundrechtswidrigen Normen geprägt ist. [1] Im Gegensatz zu jihadistischen islamistischen Gruppierungen verwenden diese Gruppierungen keine Gewalt um ihre Ziele durchzusetzen, sondern versuchen durch die Beteiligung an Gremien, durch Bildungsprojekte und Öffentlichkeitsarbeit ihre Ziele zu erreichen. Der Begriff „legalistischer Islamismus“ wird häufig synonym verwendet und im Folgenden aus den oben skizzierten Gründen anstatt „Politischer Islam/Islamismus“ verwendet. Dennoch muss darauf hingewiesen werden, dass auch dieser Begriff nicht unproblematisch ist. Alle genannten Begriffe beinhalten definitorische Unschärfen, die zudem eine vermeintlich mangelnde Integrationsbereitschaft von Muslim*innen implizieren und damit einen stigmatisierenden Charakter haben. [2] Debatten über den Gegenstand werden dementsprechend häufig sehr polemisch geführt.
Politisches Engagement von muslimischen Communities darf keinem Generalverdacht unterliegen
Unabhängig von der Begriffsproblematik muss das Phänomen in den Blick genommen werden, ohne dabei skandalisiert oder verharmlost zu werden. Das Thema ist komplex und hat Einfluss auf das politische Geschehen in Deutschland und beeinflusst den Alltag nicht nur, aber entscheidend von Muslim*innen. Im Antrag der CDU/CSU Fraktion wird ein Bedrohungsszenario konstruiert, dass wissenschaftlich nicht belegt ist durch die Erfahrungen aus der Zivilgesellschaft nicht gestützt wird. Eine klare Abgrenzung zwischen legalistischem Islamismus und konservativen Organisationen, die ebenfalls neben antisemitischen, homophoben und frauenverachtenden Einstellungen auch eine rigide Religionsausübung leben, fällt schwer. Damit soll in keinem Fall suggeriert werden, dass diese Positionen nicht problematisch sind. Das sind sie in jedem Fall. Es bedarf jedoch ein klares Verständnis davon, wann bestimmte Haltungen bedrohlich sind für eine Demokratie und welche unliebsamen Positionen wir in einer Demokratie nebeneinander aushalten müssen. [3] Antidemokratische Positionen ausschließlich einer gesellschaftlichen Minderheit zuzuschreiben, verkennt die Gefahr von antidemokratischen Tendenzen in der Gesellschaft und trägt nicht zum gesellschaftlichen Zusammenhalt bei; diese Zuschreibung kann genau das Gegenteil bewirken.
Die Debatte um legalistischen Islamismus wird erschwert dadurch, dass die Akteure, die diesen Organisationen angehören nicht leicht zu identifizieren sind und Debatten um die sog. „Kontaktschuldthese“ zusätzlich zur Verwirrung beitragen. Die Demokratie befindet sich in einem ständigen Aushandlungsprozess. Der friedliche Wettbewerb um unterschiedliche Meinungen und politische Positionen ist der Kern unserer Demokratie. Jeden Tag setzen sich zivilgesellschaftliche Organisationen, Politiker*innen, sowie Wissenschaftler*innen und selbstverständlich Bürger*innen für eine lebendige Demokratie ein. Teil jeder einzelnen dieser genannten Akteursgruppen sind auch Muslim*innen die von den Diskursen betroffen sind. Der Fokus auf legalistischen Islamismus darf also nicht dazu führen, dass politische Beteiligung und legitimes politisches Engagement von Muslim*innen unter Generalverdacht gestellt werden und ihnen eine negative Einflussnahme unterstellt wird. Die Art der Vorwürfe, die hinter den Begriffen stecken, erschweren die Arbeit muslimscher Träger in der Präventionslandschaft erheblich und führen zu einem Rechtfertigungsdilemma. Das betrifft auch muslimische Träger in der Prävention gegen religiös begründeten Extremismus. [4] Tatsächlich kann der Diskurs zu Politikverdrossenheit führen und negative Konsequenzen mit sich bringen. Vergleichbar sind hier negative Konsequenzen die mangelhaft konzeptionierte Präventionsmaßnahmen nach sich ziehen können, wenn diese beispielsweise nur eine muslimische Zielgruppe (innerhalb einer diversen Klassengemeinschaft) in den Blick nimmt und diese als radikalisierungsgefährdet einstuft einzig, weil sie als muslimisch gelesen und wahrgenommen werden. Diese Erfahrung kann bei als muslimisch gelesenen Jugendlichen dazu führen, dass sie sich erst recht nicht zugehörig fühlen und leichter ansprechbar sind für radikale Inhalte von islamistischen Akteuren, die derartige Ausgrenzungserfahrungen für sich zu nutzen wissen. Diskriminierungserfahrungen und Ausgrenzung sowie antimuslimischer Rassismus sind in der Fachwelt als Push-Faktoren für eine Radikalisierung anerkannt und müssen auch in der politischen Debatte ernst genommen werden. Die Verharmlosung von Diskriminierung und antimuslimischen Rassismus stellen auch eine in der Wirkung nicht zu unterschätzende Art der Zugehörigkeitsverweigerung dar; es konstruiert ein „Wir“ gegen „die muslimischen Anderen“.
Finanzierung aus dem Ausland unterbinden und demokratisches politisches Engagement fördern
Die im Antrag beschriebene Problematik der Auslandsfinanzierung durch Staaten wie den Iran oder Saudi-Arabien teilt die Verfasserin und unterstützt den Hinweis, dass muslimisches Gemeindewesen in Deutschland unabhängig von finanziellen Zuwendungen aus dem Ausland handlungsfähig sollte. Hierfür müssen Strukturen geschaffen werden, die eine noch breitere muslimische Zivilgesellschaft ermöglicht, professionalisiert und ehrenamtliches Engagement fördert, anstatt es zu kriminalisieren. Anstatt wie im Antrag gefordert, Organisationen zur Offenlegung ihrer Finanzströme zu bewegen, soll an dieser Stelle auf das Prinzip der Unschuldsvermutung hingewiesen werden. Nichtsdestotrotz ist im Zuge einer Professionalisierung von Zivilgesellschaft und auf Maßnahmen wie das Transparenzregister oder Lobbyregister hinzuweisen. Diese Transparenz sollte selbstverständlich alle gemeinnützigen Organisationen und Religionsgemeinschaften betreffen.
Wie können Präventionsarbeit und Politik als Ganzes reagieren?
In der Präventions- und Distanzierungsarbeit in Deutschland haben zivilgesellschaftliche Träger bei der Entwicklung und Konzipierung von konkreten Handlungsansätzen eine bedeutsame Rolle. Auf Grund der vielfältigen Ansätze und Methoden der Präventionslandschaft können individuelle Angebote konzipiert werden, die passgenau für die jeweilige Zielgruppe umgesetzt werden. Für die Implementierung erfolgreicher und nachhaltiger Maßnahmen zur Demokratieförderung und Präventionsarbeit gehört das Verständnis von Präventionsarbeit als gesamtgesellschaftlicher Aufgabe. [5] Den individuellen Radikalisierungsprozessen kann nur mit einer divers aufgestellten und hochqualifizierten Präventionslandschaft begegnet werden. Hierzu gehören auch muslimische Organisationen. Diese sollten keinesfalls nur wegen der Bedrohung durch den Islamismus (legalistisch oder dschihadistisch) als relevante Akteure wahrgenommen werden, sondern in allen politischen Debatten mitgedacht und beteiligt werden. Echte Integration gelingt nur durch Diskurse und Beteiligung auf Augenhöhe, die keinen Generalverdacht hegt.
Für das Arbeitsfeld der Prävention stellt das Phänomen des legalistischen Islamismus eine besondere Herausforderung dar, denn hier sind es meist nicht Familienmitglieder oder das nahe Umfeld, in dem eine rigide Religionsausübung wahrgenommen wird und eine Beratungsstelle involviert wird. Denn anders als beispielsweise einer Radikalisierung im salafistischen Spektrum wird hier keine schnelle und drastische Veränderung wahrgenommen. In der Präventionsarbeit mit Personen, die legalistischen Organisationen nahestehen liegt der Fokus weniger auf der persönlichen Radikalisierungsbiografie und vielmehr auf der Förderung von Demokratieakzeptanz und dem Abbau antisemitischer und antidemokratischer Denk- und Handlungsweisen. Bei Gruppierungen mit einem starken Herkunftsbezug, werden auch Auseinandersetzungen mit Nationalismus in den Blick genommen. [6]
Um erfolgreich mit legalistischem Islamismus umzugehen, ohne die Befugnisse des Verfassungsschutzes zu erweitern, muss auf erfolgreiche Präventionsmaßnamen aufgebaut werden und diese langfristig umgesetzt werden. Dies kann beispielsweise durch das Demokratiefördergesetz realisiert werden. Als BAG RelEx setzen wir uns für pädagogische und politisch-bildnerische Ansätze der Präventionsarbeit ein, im Gegensatz zu einem verstärkten Fokus auf sicherheitspolitische Maßnahmen. Bevor eine Ausweitung der Kompetenzen des Verfassungsschutzes wie sie im Antrag gefordert ist, beschlossen werden kann, ist eine genauere Beschreibung des Phänomens notwendig, die ohne Kontaktschuldvorwürfe und vorschnelle sowie falsche Verdächtigungen sowie allgemeine Unterwanderungsunterstellungen und alarmierende Bedrohungsszenarien auskommt. Grundsätzlich halten wir es für sinnvoll, wenn eindeutig antidemokratische und systemfeindliche Denk- und Handlungsweisen entsprechend des Auftrags der Verfassungsschutzbehörden beobachtet werden, etwa wie im Falle der sogenannten Neuen Rechten. Damit wollen wir aber den sogenannten legalistischen Islamismus nicht mit der Neuen Rechten in Form, Umfang und Bedrohung für das politische Gemeinwesen gleichsetzen. Das Vertrauen und die Erfahrung, die zivilgesellschaftliche Akteure genießen, kann in der Bearbeitung dieses Phänomens von Vorteil sein. Die Auseinandersetzung mit antidemokratischen Denk- und Handlungsweisen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Das heißt für uns, dass staatliche Behörden und zivilgesellschaftliche Präventionsträger unter Wahrung der jeweiligen Rollen zusammenwirken müssen, ohne selbst Muslim*innen zu stigmatisieren und damit zu einer nichtdemokratischen politischen Kultur beizutragen.
Abschließend wird betont, dass zivilgesellschaftliche Präventionsarbeit auch im schwierigen Umgang mit legalistischen Akteuren einen wertvollen Beitrag leisten und zu einer lebendigen demokratischen Kultur und zu einer differenzierten Debatte beitragen kann, denn zivilgesellschaftliches Engagement ist Teil einer demokratischen politischen Kultur. Es gilt das Phänomen des legalistischen Islamismus ohne Alarmismus in den Blick zu nehmen und die Erkenntnisse über diese Gruppierungen durch Forschung [7] und einen Transfer zwischen Wissenschaft und Praxis zu untermauern.
Anmerkungen
[1] Vgl. hierzu die Serie der Bundeszentrale für politische Bildung (o. J.) zu „legalistischem“ Islamismus. https://www.bpb.de/politik/extremismus/radikalisierungspraevention/332126/serie-legalistischer-islamismus (zuletzt abgerufen am 13.09.2022). Der Verfassungsschutzbericht 2020 definiert: „Legalistische Strömungen wie die „Millî Görüş“-Bewegung versuchen, über politische und gesellschaftliche Einflussnahmen eine nach ihrer Interpretation islamkonforme Ordnung durchzusetzen.“ (BMI: Verfassungsschutzbericht 2020, S.188)
[2] Schmidinger, Thomas (2012): Integration und Politischer Islam, Wien.
[3] Vgl. Meier, Christian/ im Gespräch mit Gudrun Krämer (2021a): Islamische Politik zu betreiben, ist legal und legitim, in: FAZ, 17.01.2021 [online] https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/gudrun-kraemer-im-interview-ueber-politischen-islam-17148271.html[abgerufen am 23.08.2022].
Meier, Christian/ im Gespräch mit Gudrun Krämer (2021b): Was ist eigentlich unter ‚politischem Islam‘ zu verstehen?, bpb, [online] https://www.bpb.de/politik/extremismus/radikalisierungspraevention/326260/was-ist-eigentlich-unter-politischem-islam-zu-verstehen[abgerufen am 23.08.2022].
[4] Vgl. BAG RelEx (2021): Fachgespräch “legalistischer Islamismus” – ein Rückblick [online] https://www.bag-relex.de/fachgespraech-legalistischer-islamismus-ein-rueckblick/ [abgerufen am 23.08.2022].
[5] BAG RelEx (2021): Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung des Innenausschusses am 21. Juni 2021 [online]https://www.bag-relex.de/stellungnahme-zur-anhoerung-im-innenausschuss/ [abgerufen am 23.08.2022].
[6] Vgl. Oehlmann, Jamuna (2021): „Legalistischer Islamismus und „politischer Islam“ Herausforderungen für die Präventionspraxis, in: Report 2021 Kompetenznetzwerk „Islamistischer Extremismus“, Berlin. S.47-51.
[7] An dieser Stelle sei beispielsweise auf das Forschungsprojekt „D:Islam – Deutscher Islam als Alternative zum Islamismus?“ an der Humboldt Universität zu Berlin unter Leitung von Prof. Naika Foroutan und Dr. Özgür Özvatan hingewiesen.