13. Dezember 2021 | BAG RelEx

„Zur Sicherheit: Prävention?“ – Rückblick zum Fachtag

Bei unserem Fachtag am 10. und 11. November 2021 haben wir uns den Themen Sicherheit und Versicherheitlichung im Bereich der Prävention gegen religiös begründeten Extremismus gewidmet. Lesen Sie hier einen ausführlichen Rückblick zu den Inhalten der beiden Veranstaltungstage. Außerdem finden Sie hier weitere Informationen zu den Referent*innen.

Versicherheitlichung ist ein Thema, das in diversen Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit und Politischen Bildung seit Jahren diskutiert und kritisch hinterfragt wird. Speziell in der Präventionsarbeit gegen religiös begründeten Extremismus erhöht die gesamtgesellschaftliche Wahrnehmung und die mediale Berichterstattung den Druck auf die beteiligten Akteure aus Zivilgesellschaft, Sicherheitsbehörden und Politik jedoch noch einmal zusätzlich. Bei unserem Fachtag haben wir die Auswirkungen des Sicherheitsdiskurses auf die beteiligten Organisationen und Institutionen genauer in den Blick genommen und die  Zusammenarbeit von zivilgesellschaftlichen Trägern und Sicherheitsbehörden beleuchtet.

Erster Veranstaltungstag – 10. November 2021

Prävention und Sicherheit: Spannungsfelder und Konfliktlinien im Verhältnis zwischen Sozialer Arbeit und Sicherheitsbehörden

Eröffnet wurde der Fachtag mit einem Vortrag von Prof. Dr. Albert Scherr (Pädagogische Hochschule Freiburg, Baden-Württemberg) unter dem Titel Prävention und Sicherheit: Spannungsfelder und Konfliktlinien im Verhältnis zwischen Sozialer Arbeit und Sicherheitsbehörden. Der Schwerpunkt des Vortrags lag auf der Arbeit im Bereich der Tertiärprävention, der in den Infoshops des zweiten Tages weiter vertieft werden sollte. Prof. Scherr stellte zuerst drei unterschiedliche Paradigmen (medizinisch, sicherheitspolitisch und sozialarbeiterisch) präventiven Handelns vor, um so die unterschiedlichen Perspektiven auf Prävention zu verdeutlichen und eine Abgrenzung der Arbeit der Akteure vornehmen zu können. Aus seiner Sicht ziele sicherheitspolitische Präventionsarbeit auf die Verhinderung von Straftaten ab. Soziale Arbeit hingegen betrachte Prävention vielmehr als erwünschte Nebenwirkung. Ihr primäres Ziel sei die Verbesserung der Lebenschancen und die Gewährleistung eines selbstbestimmten Lebens für ihre Klient*innen. Albert Scherr verwies jedoch auch auf Schwierigkeiten der Abgrenzung der beiden Sphären Sicherheit und Soziale Arbeit, da Hilfsangebote auch immer einen Kontrollaspekt beinhalteten. Für eine gelingende Sozialarbeit sieht Prof. Scherr eine vertrauensvolle Beziehung zwischen den Klient*innen und Sozialarbeiter*innen als grundliegende Bedingung an. Über möglichen Austausch mit anderen Stellen sollte daher nicht nur aus datenschutzrechtlichen Gründen jederzeit Transparenz gegenüber den Klient*innen eingehalten werden. Aus Sicht von Albert Scherr muss eine klare Abgrenzung der jeweiligen Arbeitsaufträge erfolgen, um die Glaubwürdigkeit gegenüber den Klient*innen und damit den Erfolg sozialarbeiterischer Angebote nicht zu gefährden.

Zwischen Demokratieförderung und Sicherheitsdiskurs: Politische Bildung in der universellen Prävention von religiös begründetem Extremismus

Im zweiten Vortrag widmete sich Dr. Jochen Müller den Auswirkungen des Sicherheitsdiskurses auf den Bereich der Primärprävention, der in den nachfolgenden Infoshops inhaltlich durch Perspektiven aus unterschiedlichen Praxisfeldern vertieft wurde. Unter dem Titel Zwischen Demokratieförderung und Sicherheitsdiskurs: Politische Bildung in der universellen Prävention von religiös begründetem Extremismus umriss er zuerst die unterschiedlichen Zielsetzungen der Akteure in der Extremismusprävention. Im Gegensatz zu staatlichen/behördlichen Institutionen, die die Gesellschaft vor Extremismus schützen sollen, wollen sowohl Pädagogik als auch politische Bildung vorrangig die Individuen stärken, die sie mit ihren Angeboten erreichen. Daran anschließend verwies Dr. Müller auf die Wichtigkeit beider Aufgabenfelder sowie die Dringlichkeit ihrer Abgrenzung. Gesteigerte Angst dürfe nicht zu einer Versicherheitlichung der Angebote der Universalprävention führen, da hierdurch die Arbeit der politischen Bildner*innen untergraben würde. Darüber hinaus wirkt Prävention, gelesen als Ausdruck gesteigerter Angst, im Nebeneffekt stigmatisierend auf Zielgruppen der Angebote zivilgesellschaftlicher Träger. Aus der Sicht von Jochen Müller sollte jedoch Prävention vielmehr der Nebeneffekt von Formaten demokratiefördernder und diskriminierungsformenübergreifender Pädagogik sowie politischer Bildung sein. Aus diesem Grund spricht er sich dafür aus mehr Differenz, mehr Dialog und mehr Vertrauen zu wagen, damit die Arbeit aller Akteure besser gelingen kann und die Gesellschaft als Ganzes schlussendlich davon profitiert.

Infoshops am 10. November 2021

  • Amir Alexander Fahim (Türkische Gemeinde in Deutschland e. V., Berlin)
    Politische Bildungsarbeit und/oder/als Extremismusprävention!? Zur Schwierigkeit und Notwendigkeit der Abgrenzung dieser beiden Sphären

Alexander Fahim stellte in seinem Infoshop die Gemeinsamkeiten, aber auch die Unterschiede von politischer Bildung und Extremismusprävention aus seiner Sicht dar.  Speziell die Unterschiede machen seiner Meinung nach eine Abgrenzung der beiden Sphären notwendig. Politische Bildung hat die Entwicklung von Mündigkeit zum Ziel, die aus seiner Perspektive die beste Prävention sei. Prävention hingegen verfolge das Ziel, einen in der Zukunft liegenden, als gefährlich oder unerwünscht definierten Zustand zu verhindern. Es sei aus Perspektive der zivilgesellschaftlichen Träger der Demokratieförderung und Extremismusprävention kritisch zu betrachten und auszuwerten, inwiefern Sicherheitsdenken in Maßnahmen der politischen Bildung einfließt und auch auf der Metaebene dazu führt, dass die Ziele der politischen Bildung als quasi deckungsgleich mit den Zielen der Extremismusprävention sind. Ein uferloses Präventionsverständnis könnte dazu führen, dass politische Bildung vordergründig als Maßnahme der Terrorabwehr verstanden wird. Die zivilgesellschaftlichen Träger müssen sich dieses Spannungsverhältnisses bewusst sein und einen Umgang damit finden, der den eigenen Standards der Präventionsarbeit gegen religiös begründeten Extremismus entspricht.

  • Dr. Peer Fechner (RAA Berlin e. V.)
    Partizipative Demokratieförderung (mit präventiver Wirkung)

Der Infoshop von Dr. Peer Fechner widmete sich der Frage, wie partizipative Demokratieförderung gestaltet werden kann und wie sie präventive Wirkung entfaltet. Er gab in seinem Vortrag Einblicke in die Arbeit des Projekts kiez-einander (RAA Berlin e. V.). Das Projekt versteht sich als Format mit, für und von Moscheegemeinden und muslimischen Vereinen. Ziel ist es, eine nachhaltige Stärkung des gesellschaftlichen Engagements und der Partizipation zu befördern und die Akteure untereinander zu vernetzen. Im Zentrum steht dabei eine partizipative Demokratieförderung, durch die unter anderem auch die Stärkung von Resilienz und von Ressourcen gegen religiös begründeten Extremismus gefördert werden soll. Für eine partizipative Demokratieförderung sind laut Peer Fechner vier Elemente zentral: Muslimische Organisationen sind wichtige Partner zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen. Um dieser Rolle gerecht werden zu können, braucht es Partizipation und Strukturaufbau, damuslimische Organisationen und Moscheegemeinden oft vor der Herausforderung knapper personeller und finanzieller Ressourcen stehen. Demokratieförderung braucht zudem eine Subjektorientierung, durch die die Arbeit auf die selbst formulierten Bedarfe und Interessen der Akteure ausgerichtet werden kann und sich somit an den Lebensrealitäten der Menschen orientiert. Darüber hinaus müssen Wording und Haltung reflektiert werden, damit Stigmatisierungen vermieden werden und Antidiskriminierungsarbeit und Selbstermächtigung ihre Wirkung gegen gesellschaftliche Spannungen entfalten können.

  • Ulrike Hoole (BAG RelEx, Berlin)
    Eine Frage der Perspektive? Auswirkungen defizitorientierter Vorstellungen von Prävention im Schulkontext

Ulrike Hoole berichtete über ihre Erfahrungen in der praktischen Arbeit im Kontext Schule. Sie konnte beobachten, dass als muslimisch gelesene Jugendliche, ähnlich wie in anderen Bereichen der Gesellschaft, als Problemgruppe und potentielles Sicherheitsrisiko konstruiert werden.  Dies habe auch Auswirkung auf die Präventionsarbeit, die sich teilweise von defizitären Annahmen leiten ließe. Dabei kann eine solche Perspektive auf Präventionsarbeit an Schulen ungewollte, negative Auswirkungen auf ihre Zielgruppe haben und zu Gefühlen der Ausgrenzung, Diskriminierung sowie in Konsequenz zu sinkender Leistungsmotivation und schulischem Erfolg beitragen. Wenn man annehme, dass es gerade Erfahrungen von Entfremdung und Nichtzugehörigkeit sind, die zu Radikalisierungsprozessen junger Menschen beitragen bzw. Anknüpfungspunkte für islamistische Akteure bieten können, dann laufen Präventionsangebote, die solche stigmatisierenden Effekte unreflektiert übernehmen Gefahr, die Prozesse zu fördern, die sie eigentlich verhindern wollen. Es gelte daher, speziell in der Präventionsarbeit eine ressourcenorientierte und diskriminierungssensible Perspektive einzunehmen. Dies wird im Schulkontext bereits vielfach umgesetzt. Gleichzeitig ist es aber auch Realität, dass weiterhin antimuslimische Stereotype existieren. Die Sensibilisierung von Fachkräften im schulischen Bereich ist aus ihrer Sicht daher weiterhin ein wichtiges Thema.

 

Zweiter Veranstaltungstag – 11. November 2021

Vertrauliche Ausstiegsarbeit oder Schulterschluss? Datenschutz, Verschwiegenheit und Zeugnisverweigerung im Kontakt zwischen Zivilgesellschaft und Sicherheitsbehörden

Nachdem sich der erste Veranstaltungstag im Rahmen der Infoshops auf den Bereich der Primärprävention fokussiert hatte, lag der Schwerpunkt des zweiten Tages auf der tertiären Prävention in der Ausstiegsbegleitung und Distanzierungsarbeit. Vor allem in diesem Bereich kommt dem datenschutzrechtlichen Rahmen in der Zusammenarbeit zwischen zivilgesellschaftlichen und staatlichen Institutionen eine bedeutende Rolle zu. Aus diesem Grund eröffnete Dr. Thomas Meysen (Socles – International Center for Socio-Legal Studies, Heidelberg) den Tag mit seinem Vortrag unter dem Titel Vertrauliche Ausstiegsarbeit oder Schulterschluss? Datenschutz, Verschwiegenheit und Zeugnisverweigerung im Kontakt zwischen Zivilgesellschaft und Sicherheitsbehörden.

Zu Beginn seiner Ausführungen stellte Dr. Meysen sicherheitsbehördliche und zivilgesellschaftliche Strukturen gegenüber und umriss die unterschiedlichen Aufträge sowie das unterschiedliche Selbstverständnis der beiden Arbeitsbereiche. Anschließend zeigte er am Beispiel von Fallkonferenzen die Grenzen und Möglichkeiten zur Zusammenarbeit im Rahmen des Datenschutzes auf. Er zog klare Grenzen bezüglich des Schutzes der Klient*innen, verwies jedoch auch darauf, dass zivilgesellschaftliche Träger in Ausnahmefällen gesetzlich zum Austausch bzw. zur Weitergabe von Informationen verpflichtet sind und ging u. a.  auf die Bestimmungen des §138 StGB sowie den enthaltenen Katalog für meldepflichtige Straftaten ein. Aus Sicht von Dr. Meysen bedingen Sicherheitsbehörden und Ausstiegsarbeit einander in ihrer Arbeit, könnten jedoch nur mit Respekt vor dem Wirkungskreis des jeweils anderen wirksam agieren. Der Einhaltung des Datenschutzes kommt aus seiner Sicht in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung zu, da der Aufbau einer gelingenden Beziehung zwischen Sozialarbeiter*innen und Klient*innen nicht zuletzt von Verschwiegenheit, Transparenz und Vertrauen gestützt wird.

Infoshops am 11. November 2021

  • Samira Benz (Senatsverwaltung für Inneres und Sport, Berlin)
    Zusammenarbeit zwischen Zivilgesellschaft und Sicherheitsbehörden aus Perspektive der Rückkehrkoordination

Samira Benz blickte in ihrem Infoshop auf die Zusammenarbeit von zivilgesellschaftlichen Trägern und Sicherheitsbehörden aus ihrer praktischen Perspektive als Rückkehrkoordinatorin. Das Modellprojekt, gefördert vom Bundesamt von Migration und Flüchtlinge und angesiedelt bei der Senatsverwaltung für Inneres und Sport, koordiniert die Rückkehr von Personen, die in die Kampfgebiete des sogenannten Islamischen Staats ausgereist sind. Im Fokus der Arbeit von Frau Benz steht die Verbesserung des Informationsaustauschs und die Abstimmung der Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure. Sie fungiert dabei als zentrale Anlaufstelle für unterschiedliche staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure. Samira Benz berichtete von den vielfältigen Herausforderungen, die sich bei dieser Zusammenarbeit ergeben können. Interessenskonflikte, datenschutzrechtliche Herausforderungen, Rollenklärung der Akteure und die Schwierigkeiten beim Vertrauensaufbau zwischen den beteiligten Personen. Ihre Erfahrungen aus der Praxis lassen zwei Aspekte für eine gelingende Zusammenarbeit aus ihrer Sicht zentral erscheinen. Eine gegenseitige Sensibilisierung der Akteure für die jeweilige Rolle und Zuständigkeit des anderen sowie der Aufbau von Vertrauen. Hierbei hilft das persönliche Kennenlernen der Akteure untereinander sowie der direkte Austausch. In ihrer Funktion als Rückkehrkoordinatorin waren dies die Schlüssel, die nachhaltig zu einer gemeinsamen gelingenden Arbeit beitrugen.

  • Janusz Biene und Joschka Gatzlaff (Fach- und Beratungsstelle Legato, Hamburg)
    we don´t call the cops!? – Erfahrungen und Perspektiven der Zivilgesellschaft auf das praktische Verhältnis zu Sicherheitsbehörden

Janusz Biene eröffnete den Infoshop mit einem Überblick über die theoretischen Grundlagen des Arbeitsbereiches aus Sicht der Beratungsstelle Legato.  Hierbei zeigte er auf, dass sich Radikalisierungsprävention in einem Spannungsfeld zwischen Sozialer Arbeit sowie dem Sicherheitsdiskurs bewegt. Unterschiedliche Faktoren wie das Mandat der Beratungsstellen, welches dem Mandat der Sicherheitsbehörden gegenübersteht sowie die unterschiedlichen fachlichen Perspektiven auf die  Klient*innen auf der einen und die öffentliche Sicherheit auf der anderen Seite, wirken dabei auf die Zusammenarbeit der beteiligten Akteure ein. Unterschiedliche Zielsetzungen in der Arbeit sowie die divergierenden Fachsprachen sind Barrieren, die in einem längeren Prozess der Annäherung abgebaut werden müssen. Dabei ist es jedoch unabdingbar die Rollenklarheit, Professionsgrenzen und den Datenschutz weiterhin zu beachten.

Im zweiten Teil berichtete Joschka Gatzlaff aus dem Projekt Legato Disengagement sowie von seinen Erfahrungen aus der praktischen Beratungsarbeit. Hierbei zeigte er die diversen Rollen und Aufträge der beratenden Personen auf, die sich unter anderem als Anwält*innen, Dolmetscher*innen und Unterstützer*innen ihrer Klient*innen verstehen. Er umriss dabei die Bereiche, in denen die Zusammenarbeit mit Sicherheitsbehörden aus seiner Sicht notwendig und sinnvoll ist und verwies gleichzeitig darauf, wo er Grenzen der Zusammenarbeit sieht oder diese gar als hinderlich für einen gelingenden Beratungsprozess empfindet.

  • Maximilian Ruf (Violence Prevention Network gGmbH, Berlin)
    Fallkonferenzen und Kooperation aus wissenschaftlicher und internationaler Perspektive

Zum Einstieg in seinen Vortrag wählt Maximilian Ruf einen Rückblick auf die Entwicklung der Kooperationen von Sozialer Arbeit und Sicherheitsakteuren. In einigen Bereichen u. a. Sucht, Prostitution und der allgemeinen Jugendgewaltprävention gibt es langjährige Erfahrungen im Austausch zwischen zivilgesellschaftlichen und sicherheitsbehördlichen Stellen. Auch in der Extremismusprävention sei die Kooperation der Akteure aus seiner Sicht längst Realität. Er verweist jedoch darauf, dass die Formen von Kooperationen divers sind und die Motive sich innerhalb der jeweiligen Kontexte als komplex erweisen. In der Zusammenarbeit sieht er die unterschiedliche fachliche Ausrichtung sowie Zielsetzung der Akteure als Herausforderung zur Gestaltung einer gleichberechtigten Beziehung. Ergänzt werde dies durch die Asymmetrie zwischen den Akteuren aus Zivilgesellschaft und Sicherheitsbehörden, die er auf die Projektfinanzierung zivilgesellschaftlicher Akteure zurückführt, auf die bei Finanzierungsentscheidungen unter Umständen Einfluss durch staatliche Akteure ausgeübt werden könnte. Im internationalen Vergleich beobachtet er im Ausland eine weniger kontroverse Diskussion als in Deutschland, was er auf die unterschiedlichen nationalen Strukturen in der Präventionsarbeit zurückführt. Für eine gelingende Kooperation sieht er aber sowohl international als auch im deutschen Kontext u. a. die Rollenklärung, unterschiedliche Priorisierungen und Zielsetzung der Arbeit sowie Datenschutz und Klärung von Abläufen und Verantwortung als zentrale Punkte, die zu berücksichtigen und gemeinsam zu erarbeiten sind. Für eine gelingende Kooperation brauche es eine klare Definition von Anlässen, Grenzen sowie Verfahren und Verantwortung.

  • Samet Yilmaz (Ministerium für Inneres, ländliche Räume, Integration und Gleichstellung, Schleswig-Holstein)
    Islamismusprävention – eine schwierige Aufgabe für Sicherheitsbehörden?

Dr. Samet Yilmaz ging der Frage nach, ob Präventionsarbeit durch Sicherheitsbehörden geleistet werden kann und darf. Er verwies am Beispiel des Verfassungsschutzes auf den Auftrag sicherheitsbehördlicher Strukturen. Der Verfassungsschutz sei ein Nachrichtendienst, dessen Aufgabe die Beobachtung von Bestrebungen ist, die sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung richten. Die Analyse allgemeiner Entwicklungen innerhalb der Gesellschaft ist aus seiner Sicht, genau wie Maßnahmen zur Islamismusprävention, keine generische Aufgabe des Verfassungsschutzes. Die Strategie der Bundesregierung sehe jedoch vor, dass sowohl staatliche als auch zivilgesellschaftliche Organisationen mit ihren jeweiligen Rollenzuweisungen Aufgaben der Extremismusprävention übernehmen. Die Zuständigkeiten sowie das Verständnis von Professionsgrenzen unterscheiden sich hierbei zwischen den verschiedenen Bundesländern. Folglich gibt es in der Arbeit auch immer wieder Berührungspunkte in unterschiedlichen Bereichen. Aus seiner eigenen Praxis berichtet Samet Yilmaz, dass der Dialog zwischen den Expert*innen aus allen beteiligten Institutionen das Fundament für eine erfolgreiche Arbeit ist. Zuständigkeiten und Professionsgrenzen müssten auf Augenhöhe ausgehandelt und im gegenseitigen Respekt für die Expertise des Gegenübers auch eingehalten werden. Dort, wo Sicherheitsbehörden und zivilgesellschaftliche Träger miteinander in Berührung kommen, muss ein sicherheitsbezogener Austausch stets kritisch auf Sinnhaftigkeit geprüft und Datenschutzanforderungen eingehalten werden.

 

Auswirkungen des Sicherheitsdiskurses auf als muslimisch gelesene Menschen

An die Infoshops schloss sich Fatih Abays (CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit, Berlin) Vortrag zu den Auswirkungen des Sicherheitsdiskurses auf als muslimisch gelesene Menschen an. Als Fundament für seine weiteren Ausführungen nahm Fatih Abay eine Klärung sowie Abgrenzung der relevanten Begriffe Antimuslimischer Rassismus und Islamkritik vor. Darauf aufbauend stellte er Erkenntnisse und Forschungsergebnisse zu muslimisch gelesenen Menschen im Sicherheitsdiskurs vor, beginnend mit der Darstellung von muslimisch gelesenen Menschen in der Kolonialgeschichte bis hin zu den Anschlägen vom 11. September 2001. Dieses einschneidende Ereignis sorgte für einen Wandel in der (westlichen) Wahrnehmung von Muslim*innen. Von einer konstruierten Gruppe, die bis dahin noch mit dem Stigma der Rückständigkeit und Unzivilisiertheit belegt war, hin zu Unterteilungen in gute und böse, liberale und orthodoxe. Als Folge der Anschläge veränderte sich der Diskurs und muslimisch gelesene Menschen wurden zunehmend zu einem konstruierten Sicherheitsrisiko, dem gegenüber man misstrauisch agiert. Sie werden zur Problemgruppe stilisiert, die fortan unter öffentliche, politische, wissenschaftliche und pädagogische Aufsicht gestellt wird. Daraus folgen alltägliche Anfeindungen sowie Diskriminierungen in allen relevanten Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Abschließend unterzieht Abay die Begriffe Politischer Islam sowie Kontaktschuld einer kritischen Betrachtung und verweist auf die Delegitimierung von (politischem) Handeln von muslimisch gelesenen Menschen durch deren Verwendung.

 

Podiumsdiskussion

Die Veranstaltung wurde mit einer Podiumsdiskussion abgeschlossen. Um die Perspektivenvielfalt, die sich durch die gesamte Veranstaltung zog, auf das Thema zu gewährleisten, vertraten die Expert*innen unterschiedliche Bereiche und Organisationen, die in der Prävention von religiös begründetem Extremismus tätig sind. Die sicherheitsbehördliche Perspektive wurden vertreten durch Dr. Hazim Fouad (Landesamt für Verfassungsschutz Bremen). Die Perspektiven auf die unterschiedlichen Bereiche der zivilgesellschaftlichen Präventionsarbeit wurden durch Thomas Mücke (Violence Prevention Network gGmbH, Berlin), der seine Expertise aus der Tertiärprävention einbrachte, und Leila Younis (Inside Out e. V., Stuttgart) aus dem Vorstand der BAG RelEx, die ihr Wissen aus der primärpräventiven Arbeit einbrachte, vertreten. Jamuna Oehlmann (BAG RelEx, Berlin) bereicherte das Podium mit ihren langjährigen Erfahrungen als Koordinatorin einer Dachorganisation für zivilgesellschaftliche Arbeit gegen religiös begründeten Extremismus.

Die Expert*innen auf dem Podium waren sich darüber einig, dass allgemeingültige Aussagen über die Zusammenarbeit zwischen Sicherheitsbehörden und zivilgesellschaftlichen Trägern allein aufgrund der föderalen Strukturen nicht zu treffen sind. Über bundeslandspezifische Besonderheiten hinaus würden auch die persönliche Beziehung sowie die Strukturen innerhalb der beteiligten Organisationen entscheidende Faktoren für eine gelingende Zusammenarbeit darstellen. Aus Sicht aller Expert*innen brauche der Aufbau einer gelingenden Arbeitsbeziehung jedoch immer Zeit, um Vertrauen in und Verständnis für die jeweils andere Profession aufbringen zu können. Präventionsarbeit braucht beide Seiten mit ihrer jeweiligen Expertise, um erfolgreich sein zu können. Ein Verschwimmen der Grenzen und eine Missachtung der jeweiligen Zuständigkeiten gefährde das Gelingen der Arbeit auf lange Sicht. Sowohl der Schutz des Individuums in Form der Klient*innen zivilgesellschaftlicher Träger als auch Schutz der öffentlichen Sicherheit, der in der Zuständigkeit der sicherheitsbehördlichen Organisationen verortet ist.

 

Die Veranstaltung fand im Rahmen des Kompetenznetzwerks „Islamistischer Extremismus“ (KN:IX) statt.

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